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Title Mit Metaphern leben
Originaltitle: Mit Metaphern leben
Erscheinungsjahr: 2015
Stichwort: AArtikel
Release: 00.00.0000

Handlung
Wie „Krankheit als Metapher“ in Literatur und Film Eingang findet, beschreibt Susan Sontag in ihrem so betitelten Essay von 1977 (Illness as Metaphor). Seitdem gibt es sie, die Krankheit als Metapher, ohne dass immer klar wäre, was darunter zu verstehen ist.



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Mit Metaphern leben
…………… bei Lektüre und Kinobesuch

Wie „Krankheit als Metapher“ in Literatur und Film Eingang findet, beschreibt Susan Sontag in ihrem so betitelten Essay von 1977 (Illness as Metaphor). Seitdem gibt es sie, die Krankheit als Metapher, ohne dass immer klar ist, was darunter zu verstehen ist.
Sontag hat ursprünglich sagen wollen: Benutzt Eigenschaften der chronischen Krankheit Krebs (z.B.) nicht, als „Bild“, um damit literarische Gestalten, Filmfiguren oder auch reale Personen zu charakterisieren. Sie wehrte sich in diesem Essay gegen jedes Sprechen über Krankheit und Kranke, die über deren realistische Beschreibung hinausgeht.
Sontag wollte das Sprechen über Krankheit vom Sprechen in Metaphern befreien. Erreicht hat sie allerdings, dass nun alle Welt – unter dem Vorzeichen der „Metapher“ - nach der „tieferen Bedeutung“ fragt, sobald Literatur oder Film Krankheit thematisieren. Sie hatte nach der Veröffentlichung des Essays ihre anfänglich radikale Ablehnung von Metaphern abschwächen müssen in der Erkenntnis, dass "Sprechen" - in Wort und Bild - immer auch metaphorisches Sprechen, Schreiben, Filmen ist. (siehe dazu ausführlich und analytisch Lakoff, G. u. Johnson, M., Metaphors we live by, 1980)

Lakoff, der Schule gemacht hat (siehe z.B. Wehling, Elisabeth, Politisches Framing: Wie eine Nation sich ihr Denken einredet. - und daraus Politik macht. Herbert von Halem Verlag 2016 ) argumentiert überzeugend: Wir übersetzen uns zum besseren Verständnis abstrakte Sachverhalte in Bilder. Wir organisieren die Sicht auf und die Bewertung von Fakten nach Schemata, "Deutungsrahmen", von ihm "frame" genannt. (siehe Lakoff, George, Don't think of an elephant. Know your values and frame the debate. Chelsea Green Publishing 2004)

„Die Schlafwandler“ (Clark 2013) heisst eine jüngste Veröffentlichung über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Das Werk widersetzt sich mit diesem „Bild“ einer diametral anderen Analyse des gleichen Vorgangs, die den Titel „Griff nach der Weltmacht“ (Fischer, 1961) trägt. Ein weiterhin umstrittener historischer Vorgang kann effektvoll durch Metaphern interpretativ "eingerahmt werden - je nach These des Autors.

In ihrem folgenden Essay zum Thema „Aids and its Metaphors“ (1989) zieht Sontag es vor, die „guten“, dem Patienten respektvoll begegnenden Metaphern von den zu vermeidenden abzuheben. In „Krankheit als Metapher“ hatte sie noch beklagt, dass die Krebs-Metapher auf Sachverhalte und Menschen Eigenschaften moralischen Übels überträgt. Die „Tuberkulose“ hingegen gelte als Attribut sinnlicher und vergeistigter Zustände und werde zur Metapher für Schönheit, Sinnlichkeit und Vergeistigung.

Sontag entnahm ihre Beispiele meist der schönen Literatur und allgemeinen vorurteilsvollem Reden über Krankheiten. Spielfilm und TV-Serie werden heute gefährlich vereinfachend die Funktion allgemeiner Information zugesprochen, nicht zuletzt im medizinischen Bereich erhalten. Zu Autismus, Schizophrenie und Alzheimer Krankheit findet heute fast jeder interessierte Kinogänger den treffenden Spielfilm.

Wie erfreulich wäre es, liessen sich Spielfilme so einfach in den Dienst der Aufklärung stellen. Zu bedenken ist, dass ihre Drehbücher und Inszenierungen nicht populäre Unterrichtung bezwecken sondern vornehmlich Unterhaltung. Ihre Gestaltungsprinzipien eignen sich nicht notwendig für Aufklärung. Sie unterhalten vielmehr durch ihren Hang zum Metaphorisieren, Stereotypisierung und melodramatischen Überfrachten nicht zuletzt der dargestellten Krankheiten und Behinderungen. Sachlichkeit bleibt dabei auf der Strecke – notwendig. Wer wollte sich aus „Romeo und Julia“ ein Bild Veronas in der Mitte des 16. Jahrhunderts machen? Nur der Tourismus tut‘s mit Scharen begeisterter Besucher eines Veroneser Hauses mit Balkon.

Es kann also nicht darum gehen, dem Bildmedium par excellence die Freude an der Metapher zu verderben, mit der es „tiefere Bedeutung“ oder unterhaltsame Anspielungen bewerkstelligt. Siehe etwa die Schlussszene von Hitchcocks „North by Northwest“!

Angebracht erscheint nur der Ärger, wenn Filmbilder oder Szenen der medizinischen Aufklärung und den betroffenen Menschen direkt schaden. Das ist durchaus nicht immer der Fall. Hilfreiche Metaphern lassen sich sehr wohl von schädlichen unterscheiden. Als paradox mag man empfinden, dass mancher Filmklassiker mit dummen Metaphern und Vorurteilen arbeitet, während so mancher Independentfilm ja sogar manches B-movie mit Realismus und Vorurteilslosigkeit beeindrucken.

Der deutsche Filmkritiker Georg Seeßlen klagt, dass „es kaum eine andere Kunst (gibt), die die Fähigkeit hätte, so genau hinzuschauen.“, doch könne der Spielfilm erwiesenermaßen Krankheit und Behinderung nur als „Metapher“ einsetzen. (Bildstörungen, hrsg. Stefan Heiner, Enzo Gruber, 2003: / Seeßlen, G., Freaks & Heroes, S.31) Der italienische Filmkritiker Goffredo Fofi wünscht sich (wie Seeßlen) im Dienst der Wahrheit den Kamerablick der Distanz und ohne Mitleid auf Leid und Anderssein, findet ihn aber nur als Ausnahme. (Bildstörungen, hrsg. Stefan Heiner, Enzo Gruber, 2003: Fofi, G. Bewusst ohne Mitleid, S. 41).

Zum Film, der bemüht Behinderung in den Mittelpunkt stellt, schreibt Seeßlen an anderer Stelle: „Der Behindertenfilm ist an der Oberfläche eine Art appellatives Feelgood-Movie, und in den Kritiken liest man dann gerne Worte wie »menschlich«, »unsentimental« und immer wieder »ganz normal«. Eben darum geht es, um die Konstruktion der Normalität. Der Monsterfilm schließt nach wie vor den Behinderten (den Wahnsinnigen, den Verkrüppelten, den Verwachsenen) aus, der Behindertenfilm dagegen schließt ihn nach wie vor ein.“ http://tousetrien.blogsport.de/2010/08/26/behinderung-und-normalitaet-im-kino/

Auch das ist paradox, dass Behinderung im Monsterfilm sich aufgehoben fühlen darf. Um welchen Preis? Die Filmmonster, gehören zu unserer Welt, zu unseren Vorstellungen – aber mit dem Kainsmal des Abzulehnenden. Muss man daraus schliessen, dass wer der „guten“ Metaphorisierung dient, eigentlich zu gut für diese Welt ist?. Er ist als Opfer als Ausnahme bestimmt, der Normalität physisch und gefühlsmässig Platz zu machen.

Der Wunsch, nach einem weniger metaphorischen Sprechen über Krankheit, geht davon aus, dass Krankheitszustände für sich genommen weder eine ästhetische, noch moralische Valens. Sie sollten in der Regel auch keine wie immer geartete Basis für Urteile abgeben. Ein „frommer Wunsch“ im Reich der Fiktion jeder medialen Art.


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