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Title Die Sopranos. Zwei Tonys
Originaltitle: "The Sopranos"
Regie: Tim Van Patten
Darsteller: James Gandolfini, Edie Falco, Jamie-Lynn Sigler
Erscheinungsjahr: 1999
Land: USA
Stichwort: Epilepsie, Anfälle, epileptischer Anfall, Panikattacke, Psychotherapie
Release: 10.01.1999

Handlung
Carmela und Tony Soprano leben getrennt. Bobby Bacala hat Tonys Schwester Janice geheiratet. Nach Verbüssung der Haftstrafe sind wieder viele von der Soprano-Familie auf freiem Fuss. Paulie und Christopher bekommen sich in die Haare wegen einer Restaurantrechnung von zwölfhundert Dollar. Ein schlecht entlohnter Ober beklagt sich, bekommt einen epileptischen Anfall und wird von den beiden Mafiosi einfach umgelegt.



Weitere Info
Aufgenommen in die Epilepsie-Filmographie von Kerson, Toba et al.: Implacable Images: Why Epileptiform Events Continue to be Featured in Film and Television, http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/16793571
http://www.john-libbey-eurotext.fr/en/revues/medecine/epd/e-docs/00/04/1B/94/article.md

Staffel: 5, Episode: 1, Original: Two Tonys; Erstausstrahlung USA, 7.März 2004; Deutsche Erstausstrahlung: 27.7.2005

siehe dazu: Gabbard, Glenn O. (2002) The Psychology of The Sopranos: Love, Death, Desire, and Betrayal in America's Favorite Gangster Family. New York: Basic Books, XIV, 191 S.

Anfälle in „Die Sopranos“

Die „Soprano“- Serie setzt mit einer Anfallsgeschichte ein. Angelegt ist sie als Mafia-Satire, die streckenweise Züge einer Satire auf das Verhältnis der Italo-Amerikaner zu ihrer neuen Heimat trägt.
(Bezeichnend ist dafür die Einladung von Tonys Nachbar zum Golfspielen. Die Mitspieler fragen Tony während des Spiels ständig nach seinen Ansichten und nach Interna über die Mafia, als sei Italienersein und Mafia-Experte sein das Gleiche. Natürlich wissen alle, dass Tony nicht in die gute amerikanische Gesellschaft passt. Seine Golfpartner lassen ihn dies nichteinmal sehr durch die Blume wissen.)

Dem Erzählstrang "Anfallsleiden" liegt seinerseits eine Doppelstruktur zugrunde, die Tonys Leben als Boss und Familienoberhaupt kennzeichnet.

Tony's Familien-Sorgen sind doppelter Natur; denn er ist der Boss sowohl in seiner persönlichen wie auch seiner geschäftlichen Familie. Die Beziehung der beiden „Familien“ untereinander sind meist nicht sauber zu trennen, also ebenfalls doppelter Natur. Das Geschäft geht allerdings meist vor. Deswegen müssen selbst Familienmitglieder der Sopranos entweder spuren oder daran glauben.
Als Ehemann und Vater hat Tony Sorgen wegen seiner aufmüpfigen Tochter Meadow, seinem faulen Sohn Antony und seiner Frau Carmela, die ein (fast nur) platonisches Verhältnis zu einem schleimigen, aber smarten Priester unterhält. Als Sohn unterhält er sehr komplexe Beziehungen zu seiner Mutter, die schon seinen Vater ins Grab geschuhriegelt hat und auch ihn - familiär und geschäftlich - zu dominieren sucht. Als Tony sie ins Altersheim "verbannt" rächt sie sich durch ein tödliches Komplott gegen ihn innerhalb der Mafia-Familie.
Sie macht ihren für Tony gefährlichen Einfluss geltend über Tonys Onkel Junior, der nie verwunden hat, dass nicht er Soprano-Boss geworden ist. Tony lässt ihn des Friedens wegen Boss spielen, zieht aber hinter dessen Rücken die Fäden. Tonys Neffe Christopher steht zwar treu zu seinem Onkel, hat es aber zu eilig, reich zu werden. Seine Sonderaktionen bringen Tonys delikate Geschäftsbeziehungen durcheinander.
Bei soviel "Doppelbelastung" ist nicht verwunderlich, dass Tony zuweilen die Kontrolle verliert. Das kann für einen Mafia-Boss tödlich ausgehen. Tonys Kontrollverluste nehmen im Film die Gestalt von Anfällen an. Sie erwachsen aus Tonys Stresssituation, ärztlich sind sie nicht einzuordnen: epileptische Anfälle? Panikattacken?
Da man nichts "Organisches" findet, werden psychische Ursachen angenommen. Ob es sich um "dissoziative Anfälle" handelt? Was immer - für die Filmerzählung ist wichtig, dass ein Psychiater eingeschaltet wird. Es gibt nun einen "Erzählort", an dem Tonys Doppelnatur verhandelt werden kann: die Couch. Tonys Arzt lässt ihm die Wahl zwischen einem ur-amerikanischen Mann oder eine italo-amerikanischen Frau. Tony fällt die Wahl nicht schwer. Der plot ist nun perfekt: Tony vertraut sein Innerstes einer Frau an. Nicht nur die erste Staffel, viele weitere werden von diesem "narrativen Motor" leben können.
Dr. Jennifer Melfi diagnostiziert die Anfälle bald als stressausgelöst. Sie sucht Tonys Kindheitsängste und seine unglückliche Mutterbindung ans Licht zu bringen und so zu korrigieren. Sie muss aber bald erkennen, dass Tony sich handfest in sie verliebt hat.
Dies wertet sie zunächst einmal professionell positiv. Die Psychotherapie beginne zu wirken, teilt sie Tony mit. Endlich sei er fähig, Gefühle zu artikulieren – mit der „falschen“ Person. Aber dies sei eben selbst wieder Folge der Therapie.
Interessant für die Funktion der Anfälle für die Erzählung ist, dass kaum mehr von deren Verschwinden als Mass des Therapieerfolgs die Rede ist. Das Therapieziel hat einer weitere Perspektive bekommen. Tonys Bindungen und Lebenslügen sind im Visier. Dass unerklärliche Anfälle dem Image eines Bosses nicht zuträglich sind, ist auch bald vergessen. Eigentlich ziellos und voraussichtlich endlos können die Sitzungen mit Jennifer fortgesetzt werden. Der Filmbetrachter wird darin nichts Sonderbares finden. Seine Vorstellung der Funktion amerikanischer Psychotherapie erlaubt ihm diese als Teil des Lebens und sogar Zeichen des Erfolgs zu verstehen. "Man" hat als vielbeschäftigter Geschäftsmann in den USA eben einen Psychiater. Die Vorurteile überlagern sich diesmal und betreffen den Therapieanlass (Anfall) ebensogut wie die Therapie (Psychotherapie in Amerika).

Episodenhaft fungieren die Sitzungen mit Jennifer sogar wie Bordellbesuche. Da Tony nun auf Jennifer fixiert ist, verspürt er sexuelle Unlust gegenüber seiner Frau. Dr Melfi verschreibt ihm nicht nur Anti-Stress-Medikamente sondern auch „Aufheiterer“ zur Stärkung seiner Potenz. Die Folge sind Halluzinationen. Tony verschafft sich damit eine „echte“ italienische Frau.
Seine persönliche und bald auch seine geschäftliche Familien bekommen nun mit, dass Tony einen weiblichen Therapeuten aufsucht. In der geschäftlichen Familie wird ihm dies vergeben. Seine Frau Carmela aber ahnt richtig, dass der angebliche Therapeut eine wahre Gegenspielerin ist. Über deren Verhältnis zu ihrem Mann kann sie nicht genauso hinwegsehen wie über die verschiedenen Maitressen, die sich Tony standesgemäss hält.

Die beiden Strukturprinzipien der Filmerzählung – Therapiegeschichte und italo-amerikanische Satire - lassen sich auf Dauer in der Serie nicht unbeschadet durchhalten. Die mörderischen Verhaltensweisen der einzelnen Familien-Mitglieder, die Lässigkeit, mit der Mafia-Gebaren in der Satire hingenommen werden, beschädigen den leicht konsumierbaren Unterhaltungswert der Serie. Ihr Mafia-Charakter macht zu zunehmend "Düster". Aus der Satire wird eine ernste, dramarische Geschichte.
Auch die Dialektik der Beziehung zwischen dem „hinfälligen“ Boss und seiner Therapeutin/Geliebten Dr. Melfi hingegen erschöpft sich. Sie nimmt immer mehr den Charakter einer Therapie-Satire an Das „Leiden“ war eben von Anfang an nur der Aufhänger (plot device), de bald aufgegeben wird. Selbst die Geheimhaltung, die anfangs einen Image-Verlust des Bosses verhindern sollte, fällt fort.

Die Therapiesitzungen haben darum schon nach der ersten Folge kein wirkliches Ziel mehr. Sie nehmen immer mehr den Charakter einer von Tony vorangetriebenen Liebesbeziehung an. An die Stelle der „Störungen“ tritt ganz generell Stress als Anlass. Dieser wiederum ist durch die üblichen geschäftlichen Misserfolge ausgelöst.
„Die Sopranos“ bieten also insgesamt keine Auseinandersetzung mit dem Phänomen Anfall bzw. Anfallskrankheit oder psychische Störung. Die ganze gestörte Weltordnung der Sopranos – das eigene Interesse steht im Mittelpunkt - zieht als Normalität in die Serie ein. In diesem Kontext ist die Episode (5/1), die einen epileptischen Anfall enthält, besonders interessant:

Paulie und Christopher streiten darüber, wer die enorm hohe Restaurantrechnung bezahlen muss, die Paulie bewusst provoziert hat. Der Ober, den der zahlende Christopher mit 16 Dollar abgespeist hat, kommt hinzu, um sich zu beklagen. Als er mit beleidigenden Worten weggeschickt wird, beschimpft er die beiden Mafiosi. Christopher wirft ihm einen Stein an den Hinterkopf. Der Mann fällt hin und krampft. Die beiden Mafiosi sind besorgt. Sie können nicht warten, bis der Mann wieder zu sich kommt und dann sein Stillschweigen mit mafiösen Drohungen erpressen. Sie fürchten, dass er sie, wieder zu sich gekommen, anzeigen wird. Den Anfall kommentiert Paulie mit: "Don't these people know they’re supposed to take their medicine.” Dann erschiesst er den anfallkranken Ober kaltblütig.

In der Mafia-Welt hat dies Vorgehen seine Logik. In der 5. Staffel hat sich das Gesetz dieser Welt ganz gegen die anfänglich satirischen Tendenzen durchgesetzt. Der Zynismus des Mörders überrascht nicht, da schon verschiedentlich Kaltblütigkeit und Zynismus die Geschichte bestimmt hat.

Seltsamerweise nimmt die brutale Episode nicht einmal gegen die Mafia-Killer ein. Diese erledigen ein Geschäft nach ihren Interessen. Jemand steht ihnen im Wege. Der epileptische Anfall mit seiner eigentümlichen „zeitraubenden“ Entwicklung passt sich dabei perfekt in die Bedürfnisse der Erzählung ein. Der Anfall charakterisiert das Opfer nicht als besonders hilflos und die Mörder nicht als besonders menschenverachtend, obwohl dies ja der Fall ist.
Natürlich liegt das nicht daran, dass der Zuschauer den Zynismus der Verbrecher teilt. Aber für ihn ist - bildhaft verständlich - der Mann im Anfall ein Störfaktor, der aus dem Wege zu räumen ist.

Ist damit die Filmerzählung selbst herzlos und diskriminierend? Insofern die Satire mittlerweile nicht mehr den Ton des Geschehens angibt sondern der mafiöse Alltag, gewiss. Die Ermordung des Anfallkranken ist nur eines der vielen Mosaiksteinchen, an denen dies sichtbar wird.
Der Mann im Anfall wird von den Filmautoren aber nicht als „Objekt“ behandelt. Er ist Teil der Erzählstruktur. Er ist dazu durch erzähltechnische Gründe geworden. Nicht der Umgang mit Menschen mit Epilepsie ist rau und herzlos geworden. Der Einsatz epileptischer Anfälle in Erzählungen zeigt hier erneut sein Gesicht. Sie liefern perfekte, direkt einsichtige Störfälle.

Bedenkt man, dass Tony Soprano durch seine undefinierbaren Attacken anfangs durchaus Sympathien bei den Serienzuschauern bewirkt, wird hier der Unterschied zwischen der erzähltechnischen Verwendung von „Attacken“ und der von spezifisch epileptischen Anfällen deutlich. Die Filmautoren nutzen das öffentliche Bild des "epileptischen Anfalls" für eine mörderische Episode. Tonys Attacken hingegen bleiben für den Zuschauer im Hintergrund. Hier ist wichtig, dass sie einen ganzen Erzählstrang anschieben.



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