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Title Vergeblicher Kampf
Originaltitle: Vergeblicher Kampf
Stichwort: AArtikel
Release: 00.00.0000

Handlung
Vergeblicher Kampf.
Beste Absicht, schlechte Reklame:


Das Bild, das sich die Öffentlichkeit von Menschen mit Epilepsie macht, trägt entscheidend zur Lebensqualität der Betroffenen bei. Es kann ihnen - falls darin vereinfachende, dramatische oder alarmierende Züge überhand nehmen - sehr abträglich sein. Der hier zu besprechende Kurzfilm "Vergeblicher Kampf: Mediziner entschuldigen sich" enthält Bild- und Wortsequenzen, die geeignet sind, Epilepsie vereinfachend für eine Krankheit zu halten, die vornehmlich dramatische und alarmierende Züge trägt.


Weitere Info
Vergeblicher Kampf
Beste Absicht, schlechte Reklame

Als Mitglied der „Deutschen Gesellschaft für Epilepsie“ erreichte mich die Bitte, an einer Unterschriftensammlung für die Zulassung des Antiepileptikums Fycompa teilzunehmen. Das Schreiben war begleitet von einem kurzen Videofilm mit dem Titel: "Vergeblicher Kampf: Mediziner entschuldigen sich - Bundesausschuss sagt nein zu neuen Antiepileptika." Der Film wurde am 21.4.2015 auf „YouTube“ gestellt und dauert 4 Minuten. (Quellenangabe s.u.)
Die Berechtigung des Aufrufs, bei dem es weiter gefasst um den Zusatznutzen von Antiepileptika geht, steht hier nicht in Frage. Fraglich – äusserst fraglich! - ist die Form, wie ihm in Bild und Wort Nachdruck verliehen wird. Es wird Alarm geschlagen mit alarmierenden Mitteln. Gezielt aber leichtfertig gehen renommierte Wissenschaftler dabei mit dem Bild der Epilepsie um, wie es noch immer – allen ärztlichen Erfolgen zuwider - in der Öffentlichkeit vorherrscht. Dieser Vorwurf wiegt umso schwerer, als die Missverständnisse und die ängstigenden Vorstellungen, die diese Öffentlichkeit gegenüber Epilepsie hat, integraler Bestandteil des Krankseins der Betroffenen sind.

Schaden durch Schrecken

Die letzte Nummer der „Zeitschrift für Epileptologie. Organ der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie e.V.“ vom Mai 2015 widmet sich u.v.a. dem geringen Selbstwertgefühl und dem Stigma, das mit Epilepsie einhergehen kann.
In einem der Aufsätze ist zu lesen: „Bei Aussenstehenden kann das Beobachten oder allein die Vorstellung, eine Person könnte einen epileptischen Anfall erleiden, Hilflosigkeit und Ohnmacht hervorrufen. Dies kann dazu führen, die betroffene Person zu meiden:“ (Zeitschrift für Epileptologie, Bd. 28, H 2, 2015, S. 106)
In einer anderen Ausgabe der gleichen Zeitschrift wird ein Fragebogen zur Lebensqualität bei Epilepsie vorgestellt, der besonderes Gewicht auf „epilepsiespezifische Angst“ und „Stigma“ legt. Für letzteren Problembereich sind die Fragen vorgesehen: „1) Würden Sie mehr Anerkennung bekommen, wenn sie keine Anfälle hätten? 2) Haben Sie es wegen der Epilepsie schwerer als andere, Freunde zu finden? 3) Ziehen sich Menschen wegen ihrer Epilepsie von Ihnen zurück? 4) Werden sie wegen Ihrer Epilepsie von anderen als weniger intelligent angesehen?“ (Zeitschrift für Epileptologie, Bd. 17, H 4 (2004), S. 300)
Ein arte-Dokumentarfilm über Epilepsie stellt eingangs fest: „Diese Krankheit hat einen rätselhaften Ruf.“ (Xenius – Gewitter im Gehirn, arte 9.8.2013, Link s.u.) Zur Begründung wird auf den jahrtausendealten ängstigenden Mythos der Epilepsie verwiesen, der seine Kraft nicht verloren hat.
Warum will dieser so schädliche Mythos, den Ärzte, Patienten und deren Verbände täglich mühevoll aufzuklären gezwungen sind, nicht einer modernen Sicht weichen? Wie erklärt sich die fortbestehende Angst vor Menschen mit Epilepsie, die so auffällig ist wie bei kaum einer anderen gut erforschten und behandelbaren Krankheit? Dramen und Horrorgeschichten - aber nicht nur sie - nähren die Angst und lassen den Mythos nicht sterben.

Kalt gesehen

Der Widerspruch zwischen der klaren Erkenntnis, wie sehr die Lebensqualität von Epilepsiepatienten von vereinfachenden und verfälschenden "Bildern" ihrer Krankheit geschädigt werden kann, und dem Bild dieser Krankheit, mit dem auch Epileptologen zuweilen Wirkung erzielen wollen, ist eklatant. Dass trotz einer über 100 Jahre anhaltenden Erfolgsgeschichte der wissenschaftlichen Medizin das Schreckbild der Krankheit fortbesteht, hat auch mit diesem Widerspruch zu tun; denn wie begegnet uns Epilepsie in diesem öffentlich zugänglichen Film „Vergeblicher Kampf“?
Der Film setzt mit EEG-Doppelbild-Aufnahmen ein, die legitimen diagnostischen Zwecken dienen, aber nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Sie sollten darum wissenschaftlichen Zwecken vorbehalten bleiben.
Es handelt sich bei den gezeigten Sequenzen um unscharfe, düstere Schwarz-weiß-Bilder, die in nicht-medizinischem Kontext abstossend wirken. Sie sind notwendig nüchtern, kalt und ohne Gefühl gefilmt. Sie sind eindeutihg nur Teil eines komplexen Diagnoseverfahrens. Die Aufnahmen nehmen – öffentlich gemacht - auf die Würde des fast nackt gezeigten und vollständig wiedererkennbaren Patienten keine Rücksicht.

Leicht zu verallgemeinern

„Das ist ein epileptischer Anfall…...“ Von diesen Worten untermalt setzt die Anfallsaufnahme und mit ihr der Film ein. Dass es nur ihn bei Epilepsie gibt, wird nicht gesagt. Anzunehmen ist, dass der Zuschauer diese Verallgemeinerung selbst vornimmt, entspricht sie doch häufig den Erwartungen. Es gibt viele andere Anfallsformen. Aber keine ist so spektakulär und damit für dramatische Aussagen so gut verwendbar.
Die Dramatik unterstreichend sind gleichzeitig von links nach rechts wirr durcheinanderlaufende Linien zu sehen. Der nur mit kurzer Hose bekleidete junge Mann reisst in Nahaufnahme den Mund auf. Er verdreht die Augen als starre er zur Decke. Die Zuckungen und Verrenkungen nehmen zu. Der Stuhl, auf dem er sitzt, müsste umstürzen, stünde er nicht auf einem Podest wie festgezurrt.
Der Sprecher kommentiert die erschreckende Szene mit: „….unkontrolliert wie ein Gewitter im Gehirn. Solange es tobt, ist der Betroffene unfähig zu reagieren. Sekunden- manchmal minutenlang. Nichts geht mehr.“
Nichts geht mehr? werden sich Patienten und ihre Angehörigen, Freunde, Nachbarn, Arbeitskollegen, Arbeitgeber und natürlich die im Film angesprochene Behörde fragen. Sie können nur zum Schluss kommen: Nichts geht jetzt mehr.
In vorauseilender Erwartung dürften viele Zuschauer diesen Schluss auf Menschen mit Anfällen allgemein ausweiten. So eine bedrohliche Momentaufnahme wird leicht als Zustandsbeschreibung missverstanden.

Leben im Gewitter

In der Tat lassen die Warnungen der beiden Wissenschaftler diesbezüglich nichts Gutes zumindest für jenes Drittel aller Epilepsiekranken erwarten, die nicht anfallsfrei werden, wie mitgeteilt wird. Und mehr: „Epileptische Anfälle können zu schweren Verletzungen führen, aber sie können auch zum Tod führen.“ heisst es. Nach diesem Einstieg ins Thema ist daran kaum zu zweifeln
Können die Folgen des öffentlichen Imageschadens für Epilepsiekranke aufgewogen werden durch den Einsatz neuer Medikamente? Der Film legt diesen Schluss nahe: 20.000 Betroffene, das sind 10 % der zuvor zitierten 200.000 Epilepsiekranken in Deutschland, die nicht anfallsfrei sind, könnten durch das in Frage stehende Medikament anfallsfrei werden.
Das ist eine gute Nachricht für die Betroffenen. Doch die Öffentlichkeit fragt sich nicht wie ein Arzt: Wie kann ich mit meinen Verordnung noch erfolgreicher werden? Welches andere Mittel der Therapie steht mir noch zur Verfügung?
Die Öffentlichkeit fragt sich womöglich: Muss ich demnächst mit Verrenkungen und heftigen Zuckungen, mit Bewusstseinsverlust, mit Verletzungen und sogar mit dem Tod des Betroffenen rechnen, wann immer mir jemand mitteilt: Ich habe Epilepsie. Wer garantiert mir, dass ich dann nicht selbst hilflos im „Gewitter des Gehirns“ meines Gegenübers stehe?

Zeit zu entwarnen! Oder?

Gesundheitspolitische Werbebotschaften wie diese sind nicht darauf aus, den Kampf gegen Mythen aufzunehmen. Sie bezwecken etwas höchst Spezifisches. Werden sie wenigstens diesen Zweck erreichen? Sie wirken – erschreckend. Sie sprechen nur dramatische Teilaspekte der Krankheit an. So gesehen klären sie nicht auf. Sie argumentieren, indem sie zuspitzen. Sie zeigen damit in jedem Fall, wie sehr sich ihre Autoren unter Druck gesetzt und von den Behörden verlassen fühlen.
Leider ist der dramatisierende Einsatz von Bildern der Epilepsie – für wechselnde Zwecke - immer wieder anzutreffen. Das Gewitter, das angeblich in den Hirnen Epilepsiekranker „tobt“, hat seinen Weg ins öffentliche Bewusstsein gefunden. Ist das nötig? Kann das langfristig helfen?
Sicher, entsprechende Bilder und die damit bestärkten Erwartungen rütteln auf. Eine undifferenzierte, kontextlose Alarmstimmung wirkt bestimt mitleiderregend. Am Boden krampfende Personen, aus nackten Hirnen abgeleitete Diagramme, feuernde Neuronen in Hirnquerschnitten, Hirnschriften auf allen möglichen und unmöglichen Hintergründen, Blitze, die in Hirne einschlagen und Personen bedrohen – „Bilder“, wie sie epileptologische Zeitschriften, Webseiten, Plakate, Broschüren, Kongressprogramme „schmücken“ - all das dient kaum der Vertrauensbildung gegenüber Epilepsiekranken.
Haben wir es noch immer mit der alten, heiligen Fallsucht zu tun? Ist die Zeit, Klarheit zu schaffen und damit zu entwarnen, noch nicht gekommen?

Es geht auch anders

Die „Stiftung Michael“, die seit 1962 Epilepsieinformation für Experten und Laien zum Ziel hat, widmet sich in einer ihrer jüngsten Broschüren einem „häufig übersehenen Thema bei Epilepsie…. Die nicht übereinstimmende Wahrnehmung der Epilepsie durch die Betroffenen und durch die Umgebung und die Schwierigkeiten sich darüber auszutauschen.“ (Vorwort)
Ausführlich belegen ihre Autoren, dass die Angst Betroffener vor der Wirkung der eigenen Krankheit nicht mehr wie früher auf ein schon verängstigtes, vorurteilsvolles Gegenüber in der Gesellschaft treffen muss. Betroffene werden ermutigt zu einem selbstbewussten Auftreten und Verhalten. Den Mut braucht es in der Tat. Und jeder Beitrag, der ihn stärkt, ist so willkommen wie jeder Beitrag, der ihn wanken macht, fragwürdig ist.
Der Pharmaindustrie, die in wissenschaftlichen Veröffentlichungen, Informationsfilmen und auf ärztlichen Kongressen für Antiepileptika und deren Nutzen wirbt, fällt es nicht im Traum ein, die Öffentlichkeit in Bild, Ton und Text zu verschrecken.
In ihren Anzeigen sind meist fröhliche Menschen, liebenswerte Jugendliche, Sportskanonen zu sehen. Hier herrscht Gesundheit und Normalität und in der Regel auch gutes Wetter. Zu lesen sind positive Sätze wie „Ich vertraue“, „Aktiv im Leben mit Epilepsie“, „Ein starkes (folgt Medikamentenname) – für ein starkes Leben“. Derartige Werbung findet sich immer wieder auch in der „Zeitschrift für Epileptologie. Organ der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie e.V.“
Diese Anzeigen richten sich an Menschen, die noch Anfälle bekommen, - an ihre Ärzte und Betreuer. Sie blenden bewusst Mythen und Ängste aus. Sie meiden das Schreckbild "grosser Anfälle". Sie scheinen sich der Zukunft anvertrauen zu wollen und scheinen darauf vertrauen zu wollen, dass die Vergangenheit der Epilepsie vergangen ist.
Wenn es gilt, die Öffentlichkeit und die Behörden aufzuklären, macht diese Strategie nicht unbedingt Schule. Dann scheint es zuweilen geboten, den Blick eher auf die bedrohlichste Seite der Gegenwart und die alarmierenden Zustände der Vergangenheit zu lenken.

Aha, eine Hexe

Bei aller Empörung sollte man nie den Humor verlieren. Olaf Schubert, ein TV-Komiker und heiterer Analytiker eigener und öffentlicher Seelenzustände, stellt mit Ironie Vorurteile, die eigenen und die der anderen, an den Pranger:
„Mir ist beim Leben aufgefallen, dass es sehr viele Vorurteile gibt. Ich …. bin auch nicht frei von Vorurteilen. Das merkt man im Alltag. Man läuft die Strasse lang. Man sieht ein Mädchen mit roten Haaren und denkt: Aha, eine Hexe… Dieses Vorurteil hat sich im Mittelalter gebildet durch klerikal-inquisitorische Kreise. Die entsprechende Zielgruppe wurde mit diesem Bannfluch belegt… Es wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Auch heute noch werden Menschen aufgrund solcher Überlieferungen vorverurteilt. Das muss ja nicht immer das rote Haar sein. Es können ja auch andere Parameter an ein Individuum angelegt werden, um es vorzuverurteilen“….

Quellen
Vergeblicher Kampf: Mediziner entschuldigen sich - Bundesausschuss sagt nein zu neuen Antiepileptika, veröffentlicht am 21.04.2015
https://www.youtube.com/watch?v=_s28w3PHrrQ

Xenius - Gewitter im Gehirn, „arte“ 9.8.2013
https://www.youtube.com/watch?v=3P4L3LsXrj0

Die Wahrheit über Exorzismus. Ein Fall aus Italien
https://www.youtube.com/watch?v=RAKv0D6FJ3c

Der Exorzismus der Anneliese Michel, Dokument eines Falles von Exorzismus, 12.4.2013
https://www.youtube.com/watch?v=GR-cxBvjjZ4

Epilepsie ansprechen. Worauf es dabei ankommt, von Margarete Pfäfflin, Rainer Wohlfahrt und Rupprecht Thorbecke, Stiftung Michael, Mai 2015
http://www.stiftung-michael.de/schriften/publikationen.php?l=1

Olaf Schubert über Vorurteile: https://www.youtube.com/watch?v=IMEQdbCJbGA

Für mehr Information über den künstlerischen Einsatz hochdramatischer Bilder siehe in „Bildstörung“ unter dem Stichwort „Exorzismus“.



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