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Title Gespenst der Freiheit, Das
Originaltitle: Fantôme de la liberté, Le
Regie: Luis Buñuel
Darsteller: Adriana Asti, Julien Bertheau, Jean-Claude Brialy, Monica Vitti
Erscheinungsjahr: 1974
Land: Italien
Stichwort: Krebs
Release: 11.09.1974

Handlung
Episoden aus dem Leben und dem Alltag der nicht selten "verhaltensgestörten" besseren Gesellschaft im Zeichen von "Vivan las cadenas". Die Episoden folgen aufeinander wie beim Staffellauf: Nebenpersonen werden zu Hauptpersonen. Das Absurde triumphiert in der Spannerepisode, der Gasthofepisode, der Polizeischule, in einer Abendgesellschaft, beim Arztbesuch, in der Episode mit dem verschwundenen Mädchen, mit dem Schuß in die Menge, im Tag-und-Nacht-Abenteuer des nekrophilen Präfekten, zuletzt im Zoo, aus dem vermutlich "fanatische" Tierschützer "Gefangene" zu befreien suchen zur Verwunderung eines Straussen.



Weitere Info
"Buñuels 31. Film, dessen Titel „Das Gespenst der Freiheit“ einem Satz aus dem Kommunistischen Manifest von Karl Marx nachempfunden ist, offenbart eine höchst eigenwillige Vorstellung des damals bereits 74jährigen Regisseurs von einer überschäumenden, komisch totalen Freiheit jenseits der (bürgerlichen) Realität, welche er geradezu auf den Kopf stellt.
Gleich zu Beginn relativiert Buñuel den Freiheitsbegriff mit dem Rückgriff auf eine historische Begebenheit: Die Spanier haben sich 1814 mit dem Ruf „Vivan las cadenas“ („Es leben die Ketten“) von der Freiheit, die ihnen die napoleonische Herrschaft brachte, befreit, indem sie sich für das Joch unter König Fernando VII. entschieden." Pitt Hermann http://www.filmzentrale.com/rezis/gespenstderfreiheitph.htm


Im Zentrum einer der länger ausgesponnen Episoden steht eine variantenreiche Weigerung, Realität wahrzunehmen.
Ein Patient hat es eilig zum Arzt zu kommen und wird wegen überhöhter Geschwindgkeit bei der Durchfahrt durch ein Dorf von zwei Gendarmen angehalten. Unklar ist, worauf sich die Behauptung der Polizei stützt. Klar aber ist, dass sich der Verkehrssünder nicht angeschnallt hatte und dass die Reifen seines Autos abgefahren sind. Mit einem Strafzettel entfernt sich der Sünder, der keineswegs reuig ist und auch nichts wieder gut macht.
Von seinem Arzt erfährt der Patient ersteinmal, dass seine Blutwerte besser sind als die seines Therapeuten und dass auch die Röntgenaaufnahmen "eigentlich" keinen Grund zur Beunruhigung geben.
Trotzdem bittet der Arzt seinen Patienten, sich für eine Leberoperation für den kommenden Tag bereitzuhalten. Auf die verwunderte Erklärung des Patienten, er sei kein Kind mehr, teilt ihm der Arzt, der diese Haltung lobt, mit, dass er an fortgeschrittenem Leberkrebs leidet. Nach kurzer Schrecksekunde verlässt der Patient die Praxis nicht ohne seinem Arzt eine schallende Ohrfeige verpasst zu haben.
Zuhause angekommen spielt der Patient das Untersuchungsergebnis gegenüber seiner erleichterten Frau herunter. Diese erhält aber sogleich einen alarmierenden Anruf der Schule ihrer Tochter. Diese sei verschwunden.
Der Patient begibt sich mit seiner Frau und dem Kindermädchen in die Schule, wo den Eltern mitgeteilt wird, dass ihre Tochter verschwunden ist, obwohl sie nie aus den Augen gelassen wurde. Dies bestätigt zudem die verschwundene Tochter selbst, die allerdings von ihrer Mutter gesagt bekommt, sie solle schweigen, wenn Erwachsene sprächen. Der Vater informiert indessen die Schulrektorin, dass dieser Vorfall noch ein Nachspiel haben werde.
Der Patient begibt sich nun mit Ehefrau, Kindermädchen und Kind auf's nächste Polizeirevier und erstattet Anzeige wegen Kindesentführung. Der wachhabende Beamte nimmt den Fall zu Protokoll und betont, dass die Suche im Grunde einfach sei, wenn der gesuchte Gegenstand gleich mitgebracht werde.
Er bittet dann das Kind vorzutreten, nicht ohne es für sein vorlautes Bekunden seiner Anwesenheit gescholten zu haben. Die Personalbeschreibung des verschwundenen Kindes fügt er gleich nach Augenschein in die Suchanzeige ein.
Anschliessend fordert er einen seiner Untergebenen dazu auf, nach der Verwundenen in der ganzen Stadt zu suchen und dafür die Gesuchte genau in Augenschein zu nehmen.
14 Monate später kann der Präfekt von Paris den im Grunde wenig erstaunten Eltern mitteilen, dass ihr Kind endlich gefunden wurde. Es sei in der langen Zeit gut behandelt worden, was angesichts der Tatsache, dass die glücklichen Eltern ihr Kind mitgebracht haben, auch für den Kinobesucher ausser Frage steht.
Wieso es zu der wunderbaren Wiederauffindung gekommen ist, erfährt dieser allerdings nicht, obwohl erst der Präfekt, dann seine Sekretärin einen dramatisch einsetzenden Polizeibericht vorzulesen beginnen. Der Präfekt hat es nämlich eilig, zu einem Termin zu kommen, der in der Begegnung mit einem nicht auftauchenden Partner für eine Dominopartie besteht und in einen Versuch übergeht, mit der Doppelgängerin seiner verstorbenen Schwester anzubandeln, die ihm einst bei unerträglicher Hitze nackt eine Rapsodie von Brahms vorgespielt hatte.
Wie die fatale Diagnose des Patienten ausging, bleibt im Dunkeln.

"Das Gespenst der Freiheit" entfaltet nach Jahrzehnten weniger eine denunzierende Kritik der bestehenden Verhältnisse als eine Schärfung des Blicks auf den alltäglichen Wahsinn, der keine Klassen, Rassen, Epochen und Ideologien verschont.
Welche Ketten können gemeint sein, für die sich spanische Freiheitskämpfer gegen den "Befreier an sich" Napoleon erschiessen lassen? Dass die spanische Guerilla der Anfang vom Untergang eines durch die Revolution an die Macht gekommenen Imperators ist, hilft bei einer immer wieder zeitgenössischen Interpretation eines allzu leicht für die Kritik am "Bürgertum" vereinnahmten Kunstwerk, das weniger episodisch ist als man meint und weniger "links" steht als man wünschen würde.

Die Episode des erst verheimlichten dann brutal offenbarten Krebs im vermutlichen Endstadium, hilft vielleicht bei einer Schärfung des Blicks.
Ein Patient hat es eilig zu einer Visite zu kommen, die ein Routine-Check-up sein dürfte und deren Ergebnis doch gefürchtet zu sein scheint. Der Patient bekommt es zunächst mit einem abwiegelnden Arzt zu tun, der seiner Hoffnung auf "Weiter-so" entgegenkommt. Der gutwillige Arzt gerät aber in Konflikt mit seinen Ergebnissen, die er letztendlich als "höchst alarmierend" darstellen muss (Kommen sie, wenn sie Zeit haben - und zwar morgenfrüh). Der Patient verträgt zwar "die "Wahrheit", aber nicht die, die direkt ihm gilt. Werm verdankt er die Ohrfeige? Dem Patient, der sich nicht entmündigen lassen will oder demjenigen, der die Wahrheit nicht wahr haben will? Letzterem, wird der Zuschauer im Licht der folgenden Episoden annehmen müssen.
Wie hier, so kämpfen die Protagonisten der anderen Episoden um ihre Ketten, die den Alltag angenehm und das Aufsichnehmen der Zukunft überflüssig machen. Die Freiheit im Sinn eines unverstellten Blicks in die Zukunft erschrickt uns wie ein Gespenst.


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