[ Handlung ] [ Weitere Info ] [ Info Filmdatenbank IMDb ]

Title Schandfleck, Der
Originaltitle: Schandfleck, Der
Regie: Julian Pölsler
Darsteller: Hans-Michael Rehberg, Fritz Egger, Mira Gittner
Erscheinungsjahr: 1999
Land: Deutschland
Stichwort: Epilepsie, Anfälle, epileptischer Anfall, Literaturverfilmung
Release: 31.10.1999

Handlung
Magdalena Reindörfer verlässt ihre Familie, als sie erfährt, dass sie die aussereheliche Tochter der Bauernfamilie Reindörfer ist. Ihr wahrer Vater ist auch der Vater des jungen Mannes, den sie heiraten wollte. Sie verdingt sich beim Grasbodenbauern als Betreuerin von Burgel, seiner epilepsiekranken Tochter. Viel Trauriges geschieht, bevor "der Schandfleck" gelöscht ist und Magdalena den Grasbodenbauern heiraten kann.



Weitere Info
nach dem gleichnamigen Roman von Ludwig Anzengruber (1877)
Erstausstrahlung des Zweiteilers: 31. Oktober 1999, 19.45 Uhr, Bayerisches Fernsehen

siehe weitere Verfilmungen:
Herbert B. Fredersdorf (Österreich, 1956) - ohne Erwähnung der Epilepsie von Burgel
Jakob Fleck und Luise Fleck (Österreich 1917)

Anzengruber beschreibt im Roman ausführlich und "unorthodox" einen nächtlichen Anfall von Burgel:

Burgel und Leni schlafen im gleich Zimmer.
"..... plötzlich schreckte sie (Leni) empor, von der Wand gegenüber tönte ein eigentümliches Geräusch; wie unruihig musste sich das Kind gehaben, da das Bett unter ihm schütterte?
'Kein Licht', rief das Kind, 'kein Licht Leni.' Aber es sprach das mit so entstellter Stimme, dass Magdalena sich nur schneller mühte, Licht zu gewinnen, und als jetzut der Docht der Kerze aufflammte und sie hinzutrat, da streifte ihr Fuss an die herabgewühlte Decke und im Bett lag das Kind, den kreidigweissen Körper entblösst, jedes Glied desselben unter regellosen, wilden Zuckungen herumgeworfen, das Auge stier, den Mund verzerrt.
Burgel: "Den Veitstanz, sagen's, hätte ich. Da siehst, wie das ist. Ich bin nit Herr über meine Füss, nit über meine Händ', bald auch über mein' Zunge nit. Unterdrück ich's tagüber mit aller G'walt, überkommt's mich Nachts nur ärger
.................Eine lange, bange Weile verstrich, so länger, je bänger sie war, dann löste sich der Krampf, die Ärmchen glitten matt und müde herab, das Kind lag ruhig und verfiel in Schlaf." (139 / 140, Ausgabe Deutsche Volksbücherei)

Der Schandfleck
Roman und Film
Ludwig Anzengrubers* Roman „Der Schandfleck“ (1877, überarbeitet 1884) schildert das Schicksal eines Kindes - Magdalena -, das als Folge eines Ehebruchs zur Welt kommt.
Die Bauersfrau Maria Reindörfer hat sich mit einem „Lumpen“ eingelassen. Ihr Mann versucht den „Schandfleck“, der daraus hervorgeht, vor der Welt zu verbergen. Er nimmt das Kind als sein eigenes an.
Als die Wahrheit ans Licht kommt, verlässt Magdalena Familie und Heimat, um sich beim verwitweten Grasbodenbauer Simon als Magd zu verdingen. Sie betreut seine epilepsiekranke Tochter Burgel. Mit der Zeit finden Herr und Magd zueinander. Burgel bekommt eine neue Mutter.
„Der Schandfleck“ ist die Geschichte der bodenlosen Angst vor der Treulosigkeit des Lebens. Nicht einmal das Vertrauen zum geliebten Menschen garantiert und schützt vor ihr.
Epilepsie, das unerwartete, mysteriöse Versagen bewussten Wollens, ist auch ein Beleg dieser urmenschlichen Bedingtheit. Ihr Schrecken lässt sich durch Ausharren und Beschützen überwinden.
Im Roman heilt Liebe, die dem Drang zum Beschützen entspringt, zum Schluss die Wunden des ursprünglichen Vertrauensbruchs.
- . -
* Ludwig Anzengruber (geboren 1839 in Wien, 1989 dort gestorben) beschrieb in Theaterstücken und Romanen das bäuerliche Leben seiner Zeit. Heute fast vergessen, früher viel gelesen: Zeugnis davon geben noch die vielen Ausgaben seiner Werke - in wiener und münchner Buchantiquariaten.
Verfilmungen

Fleck, Jacob, Fleck, Luise, Der Schandfleck (Österreich / 1917)

Fredersdorf, Herbert B., Der Schandfleck (Österreich / 1956)
Hier wird nur kurz erwähnt, dass Burgerl krank ist. Dass sie der Stoffpuppe, die ihr Vater vom Jahrmarkt ihr mitgebracht hat, keinen Namen geben will, dass sie sich und die Puppe "schlecht" findet, wird im Film nicht begründet. Leni "heilt" Burgel, die ihre Mutter früh verloren hat und seit Jahren allein mit dem schqermütig gewordenen Vater lebt, indem sie die Mutterstelle einnimmt. Bergerls Zustand erscheint als "seelisches Leiden".

Pölsler, Julian, Der Schandfleck (Deutschland / 1999)
vom Bayrischen Rundfunk gesendet am 31.10. u. 1.11.1999
Weitgehend textgetreue Umsetzung des Romans, anrührend gespielt, eine atmosphärisch dichte Bauernsage, in der, anders als im Roman, Epilepsie nicht den Grundton angibt, sondern Episode bleibt.
Der Ausbruch von Burgels Epilepsie wird psychologisch begründet (Trauma auf Grund des dramatischen Todes der Mutter). Ihre nächtlichen Anfälle bzw. „Zustände“, die Magdalena zu Tode erschrecken, werden in ihrem panischen Verhalten praktisch nur gespiegelt gezeigt.
Die Überwindung der Angst wirkt wie eine Therapie. Burgel ist von da an „anfallfrei“, ja geheilt. Als verliere die Epilepsie schon ihre Kraft, wenn es nur der Umgebung gelingt, Burgels Angst vor dem Anfall zu überwinden.

Die beiden Versionen (1953 und 1999) verglichen mit dem Roman sind sehr interessant - gerade im Blick auf die Geschichte der Darstellung von Epilepsie.
Anzengruber setzt Burgels Epilepsie vielfältig ein. Sie begründet vor allem das Anstellungsverhältnis auf dem Hof des Bauern, den Leni später heiraten wird. Sie entsteht aus unschuldiger Schuld (Burgel konnte den Anblick der sterbenden Mutter nicht ertragen). Sie wird endgültig geheilt durch Busse (Burgel hält beim sterbenden "Grossvater" aus). Sie führt zur Vereinsamung und Stigmatisierung (Veitstanz als Brandmal). Diese wird gelindert durch Achtung und Liebe. Die "uneheliche" Leni erfährt all dies aufgrund der Umstände ihrer Empfängnis. Die Epilepsie Burgels ist bei Anzengruber also das wiederholte (gespiegelte) Leitmotiv des ganzen Romans, der sich bemerkenswerterweise am plot von "King Lear" orientiert.

Der Heimatfilm von 1953 kann mit der Epilepsie wohl aus zwei Gründen nichts anfangen. Burgel ist hier rein "psychologisch" eine Ausgestossene (sie gibt der ihr geschenkten Puppe "keinen Namen"). Epilepsie passt sowieso nicht in den Heimatfilm. Lenis Ausgestossensein ist zudem so oberflächlich - entsprechend der noch nicht ganz gewendeten Moral - dass sie keine tiefgehende krankhafte Spiegelung mehr verträgt.

Der TV-Zweiteiler von 1999 hingegen lässt die Anfälle Burgels als Begründung für die Anstellung Lenis wieder zu. Die Epilepsie nutzt er jetzt aber "nur" noch zum Erschrecken. Sie entsteht aufgrund dramatischer Nachtbilder mit Tod und ereignet sich kaum sichtbar als Poltern. Der ganze Film zieht Anzengrubers Sozialdrama in ländlicher Umgebung höchst wirksam ins Thriller-Genre. Die Tragödien entstehen noch immer aufgrund (sehr überholter) sozialer Strukturen. Sie werden dem Zuschauer aber in Form von zeitlos schreckenden Vorgängen nahe gebracht.

Epilepsie als Schicksal lässt sich also Ende 19.Jahrhundert mit sozialem Schicksal koppeln. In den 50er Jahren wird Schicksal - vom Schrecken gereingt - dem Zuschauer zugemutet. In den 90er Jahren wirkt das Horrorgenre "unterhaltend" in viele Problemfilme. Es transportiert unterhaltend den Ernst eines Schicksals.

Bemerkenswert ist auch die literarische Anverwandlung der Gestalt epileptischer Anfälle. Anzengruber lässt die krampfende Burgel den Anfall und seine Auswirkung auf die Anwesenden zugleich darstellen und erklären. Es scheint mir schwer denkbar, dass Anzengruber bei seinem sonst so realistischen Blick nicht wusste, dass dies unmöglich ist. Wie so häufig "braucht" er den Anfall aber in einer Gestalt, die seine Erzählung vorantreibt (Anstellungsverhältnis), ihr die gewünschte tragische Richtung gibt (Grand mal / Veitstanz) und doch zentrale Aussagen zur Figur Burgel (krankhafter Spiegel eines sozialen Zustand) erlaubt.

Diese Anfallsgestaltung führt zu "Felix Krull" wo Mann auch das "epileptische" Geschehen zu sehr differenzierten Aussagen über den Held und sein Umfeld braucht. Jeder Versuch hier medizinisch zu argumentieren würde also dem Erzählzweck zuwider laufen. Der Vorgang lässt sich immer wieder beobachten: von "Othello" über "Bestie Mensch" bis "Terminal Man". Crichton verteidigt ja auch sein Machwerk als epileptologisch nur "möglich", d.h. in seinen einzelnen Bestandteilen korrekt. Insgesamt ist es halt "fiction". Auf den Mix kommt es an. Mediziner gehen ähnlich vor, wenn sie z.B. sagen: Tja, so ein Grand mal sieht wirklich aus, als wäre der Betroffene besessen.



Filminfo aus der IMDb Datenbank
[ Info Filmdatenbank IMDb ] [ Trailer ]

Copyright © 1998-2006 by Nikotto
modified by xiah