Erzählt auf der Basis des Falls Anneliese Michel (1952 - 1976), aus Klingenberg am Main, Studentin der PH Würzburg. Die beiden für den Exorzismus verantwortlichen Priester wurden 1978 vom Landgericht Aschaffenburg zu Haftstrafen verurteilt. Weitere Informationen: Filmheft "Requiem", herausgegeben von der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb, Fachbereich Multimedia & IT, Adenauerallee 86, 53113 Bonn, Tel. 01888 515-0, Fax 01888 515-113, info@bpb.de, www.bpb.de (Autor: Josef Lederle) © März 2006 WDR-Bericht: WDR, 27.03.2006 um 22.30 Uhr Satan lebt. Die Rückkehr des Exorzismus Ein Film von Helge Cramer Inhalt: Die Sensation auf der diesjährigen Berlinale: Der deutsche Film "Requiem" erhielt den Silbernen Bären. Ein Senkrechtstarter, der die Geschichte einer Teufelsaustreibung in Szene setzt. Tatsächlich geschehen mitten in Deutschland vor genau 30 Jahren. Am Ende der unglaublichen Qualen durch den von der offiziellen Kirche abgesegneten Exorzisten starb das Opfer, die Studentin Anneliese Michel aus der fränkischen Kleinstadt Klingenberg. Die story erzählt, was damals wirklich geschah, welche Rolle die Amtskirche dabei spielte, wie eine an Epilepsie Erkrankte für religiöse Zwecke benutzt wurde, um mit ihrem "freiwilligen" Menschenopfer die reale Existenz des Teufels zu beweisen. Erstmals sprechen ehemalige Kommilitoninnen über ihre hilflosen Versuche, Anneliese Michel aus der Umklammerung des eingeweihten Exorzisten-Zirkels zu befreien, dem neben Priestern, Eltern und Vertrauten offenbar auch eine studentische Rosenkranzgruppe angehörte. Erstmals tauchen jetzt auch Tonbandaufzeichnungen und handschriftliche Notizen von Anneliese Michel selber auf: Sie zeigen, dass sie, von der Welt und von ihrer Kirche alleingelassen mit den Teufelsaustreibern, keine Kraft mehr hatte, sich dagegen zu wehren. Kein abgeschlossener, kein bizarrer Einzelfall. Der neue Papst Benedikt XVI hat die Absicht geäußert, in allen Diözesen eigens ausgebildete Exorzisten zu bestellen. Teufelsaustreiber haben wieder Konjunktur. Die Aufarbeitung der Angst Exorzismus statt Epilepsie in Kirche und Spielfilm Anneliese Michel, aus Klingenberg am Main gebürtig, Studentin der PH Würzburg wurde 1976 in ihrem 23. Lebensjahr von katholischen Exorzisten aus dem Leben getrieben. Die beiden dafür verantwortlichen Priester wurden 1978 vom Landgericht Aschaffenburg zu Haftstrafen verurteilt. Juristisch unbehelligt blieb der Bischof, der die noch heute kirchlich erforderliche Zustimmung erteilte. Anneliese Michels bekam wiederholt epileptische Anfälle. Sie berichtete von Wahnvorstellungen. Sie kam vom Dorf. Ihre Familie galt als streng katholisch. Sie studierte, weil sie Lehrerin werden wollte. Ihre empörende und lehrreiche Geschichte erzählen nun gleich zwei Spielfilme: „Requiem“ von Hans-Christian Schmid und „Der Exorzismus der Emily Rose“ (Scott Derrickson), der im November 2005 in die deutschen Kinos kam. Schmid’s Film spielt in der deutschen und Derrickson’s in der amerikanischen Provinz. Wer beide Filme gesehen hat – und beide sind sehenswert – weiß mehr über Provinz, Priester und Exorzismus. Er weiß, dass der Teufel sich gern junge Mädchen zu Schrecken und Sühne (der Mitwelt) aussucht, und dass „die Provinz“ lebensgefährlich sein kann. Wenn er sich nun noch fragt, ob ein Exorzismus vielleicht auch bei ihm angebracht ist, kann er mal im Filmheft „Requiem“ nachschauen, den die Bundesanstalt für politische Bildung herausgegeben hat. Da steht viel Historisches und wenig Kritisches über Exorzismus drin. Erstaunlich für eine "Bundesanstalt". Für Fortgeschrittene hält dann der Vatikan Kurse bereit. Da lernt man das Exorzisieren. Sie finden darum bei Amtsträgern und Presse Anklang. Letztere findet alles sehr aufregend, wenn sie es womöglich auch für Humbug hält. Exorzismusexperte und –dozent des Vatikans ist z.B. Pater Amorth (nomen est omen) Er konnte sogar in einer beliebten italienischen Fernsehsendung für die ganze Familie ausführlich vortragen. Als Experte kommt der Pater auch im deutschen Fernsehen schon mal zu Wort. Im TV-Bericht zum Fall Michel (ARD, 24.11.2003) durfte er sein Teufelszeug zum Besten geben – nicht unwidersprochen aber passend in gruseliges Licht getaucht, das auch Schmid und Derrickson besonders lieben, natürlich. Exorzismus ist also wieder „in“. Epilepsie war und bleibt „out“. Will sagen: Was es mit ihr auf sich hat, ob das ihr anhaftende Stigma vielleicht durch Aufklärung beseitigt werden kann, interessiert die Öffentlichkeit weit weniger als das spannende Thema Teufelsaustreibung. Viele Fragen sind selbst gebildeten Bürger noch immer nicht ganz klar. Etwa: Sind Anfälle eigentlich immer so „groß“ und „schrecklich“ wie’s im Film aussieht? (Selbst die Autoren des Filmhefts der Bundesanstalt für politische Bildung scheinen dies anzunehmen!) Fragen über Fragen und kaum verwendbare Antworten weder im Film von Derrickson noch in dem von Schmid. Ist Epilepsie heilbar? Ist sie eine Geisteskrankheit? Sind epileptische Anfälle Wahnvorstellungen? Zucken manche Leute dabei, weil sie gezwickt und gezwackt werden? Helfen Medikamente? Kurz: Wenn trotz ärztlicher Behandlung Anfälle bleiben, ist das dann ein Zeichen dafür, dass Aberglaube angebrachter ist als Schulmedizin? Sind Menschen, die epileptische Anfälle bekommen, vielleicht selbst dran schuld? Weil sie ihre Medikamente ungern nehmen! Weil sie nicht gern zum Psychiater gehen? Weil sie zerbrechlich wirken, gestresst sind oder gar weil sie eben alles zu schwer nehmen? Weil sie nicht auf ihre besorgten Eltern hören? Und den Priester zu spät einschalten? Dass sich Regisseur Derrickson mehr für knarrende Wände und zuknallende Türen interessiert als für solche Fragen, ist begreiflich. Dass Regisseur Schmid ein bigottes Milieu mehr inspiriert als ein Elektroenzephalogramm, erscheint legitim. Ein Film zum Thema „Was ist Epilepsie, warum haben die meisten Betroffenen nach fachlicher Behandlung keine Anfälle mehr und warum hat der Teufel mit all dem nichts zu tun?“ bekommt natürlich weder ein Bambi noch einen Oscar und eben überhaupt keinen Festivallorbeer - bestenfalls den Preis der Pharmaindustrie. Werden wir also weiterhin dulden müssen, dass Epilepsie im Kino mystifiziert wird? Nicht unbedingt. Es gibt auch Regisseure, die sich der Krankheit und den daran Erkrankten nüchtern und hilfreich zuwenden. Thomas Moor etwa schuf 1986 den erschütternden Spielfilm „Nacht Mutter“ (USA), der die Einsamkeit von Menschen mit epileptischen Anfällen eindringlich behandelt. Ein filmisches Kammerspiel, keine Horroreinlagen. Die BBC strahlte 2003 den dreistündigen Spielfilm „The lost prince“ (Stephen Poliakoff) über den epilepsiekranken Sohn des englischen Königspaares Georg V und Queen Mary aus. Johnny wurde von Hofe verbannt, damit er seinen Eltern und der Öffentlichkeit erspart bleibe. Betroffenheit statt Erschrecktwerden. Diane Keaton drehte 1991 den romantischen Film „Wilde Sehnsucht“, in dem eine verständnisvolle Umwelt ein Kind ins Leben zurückholt, das von ihrem Vater wie ein Tier weggesperrt wurde. Regisseure, Drehbuchautoren und Produzenten, die in Fragen der Epilepsie den Teufel aus dem Spiel lassen, verdienen Beifall. Derrickson ist da hoffnungslos "out" und Schmid wäre "in" gewesen, wenn er nur klarer gemacht hätte, daß die unaufgeklärte, unberatene und schreckhafte Öffentlichkeit des Teufels war (und ist), nicht Anneliese Michel! Richtig ist aber auch: Der Spielfilm ist wenig geeignet für "Volksaufklärung" so gern Bildungsbeflissene dies auch hätten. Wer wollte es Schmid und Kollegen schon ankreiden, dass sie unterhaltsame Filme drehen und zur Gesundung der Gesellschaft nur nebenbei beitragen wollen. Ist der Spielfilm etwa ein Mittel zur Gesundheitsaufklärung? Von der Bundesanstalt für politische Bildung könnte man da schon eher fordern, mindestens genauso viele Worte über Epilepsie wie über Exorzismus zu machen. Das Wort kommt in ihrem Filmheft überhaupt nur 3mal vor. 18mal dagegen ist von Exorzismus die Rede. In der Hand einer bedachten politischen Bildung könnten dann selbst ausgesprochene Horrorfilme noch etwas gegen Stigmatisierung leisten. Das wäre sogar ein Glücksfall, trifft aber nicht zu auf das Filmheft zu "Requiem". Nachtrag: Anneliese Michel’s pädagogische Diplomarbeit trägt den Titel: „Die Aufarbeitung der Angst als religionspädagogische Aufgabe“ Sollte diese junge, kranke, bedrängte Studentin versucht haben zu begreifen, wozu Religion gut ist. Würde es helfen, wenn Amtskirche, Spielfilmregisseure und „breite Öffentlichkeit“ sich darauf besännen, wie uns Gesunden und Kranken Religion helfen könnte? Aufarbeiten statt Angst einjagen…………….. (Stefan Heiner, 2006)
|