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Title Rain Man
Originaltitle: Rain Man
Regie: Barry Levinson
Darsteller: Dustin Hoffman, Tom Cruise, Valeria Golino
Erscheinungsjahr: 1988
Land: USA
Stichwort: Anfälle, Behindertenfilm, Autismus, Heim, foolish wise
Release: 12.12.1988

Handlung
Nach dem Tod seines Vaters begibt sich der Autohändler Charley Babbit auf eine Reise mit seinem im Heim lebenden autistischen Bruder Raymond. Dieser erweist sich nicht nur als Nervensäge - ständig von Panikattacken bedroht - sondern auch als Zahlen- und Gedächtnisgenie. Die Brüder sprengen eine Spielbank in Las Vegas und lassen es sich gut gehen. Mit von der Partie ist Charlies Freundin Susanna, die Raymond lieb gewinnt. Doch schliesslich bringt ihn sein Bruder zurück ins Heim.


Weitere Info
Je einflußreicher die Bilder Behinderter und Kranker werden, die Film und Fernsehen übermitteln, desto drängender wird die Frage "Was haben sie mit der Realität zu tun?" "Rainman" gilt häufig als Modell eines informativen Spielfilms zum Thema Kankheit und Behinderung. Ja, hier scheint der Zuschauer unmittelbar mit der Welt des Autismus vertraut zu werden.
Welches Gesundheitsmagazin, welcher Betroffenenbericht, welcher Dokumentarfilm könnte schon von sich behaupten, was z.B. Campbell von diesem Film hält: "Dustin Hoffmann's appearance in 'Rainman'..... educated an entire generation on the mysteries of autismus." (Campbell, Christopher and Hoem, Sheri: Prime Time's Disabled Images. Some recent television portrayals of people with disabilities are challenging a tradition of stereotypes. In: Telvision Quarterly, vol XXXI, no 1; Spring 2001, 49

Es wird aber auch erlaubt sein eine sehr entgegengesetze und enttäuschte Meinung wie die des Autors von "Bildstörung" zu haben: Reynold Babbit wird in "Rainman" benutzt, damit sein Bruder an seinem "Leid" wachsen kann und der Zuschauer sich nach dem Kinobesuch erbaulich unterhalten fühlt. Das Eingehen auf "Autismus" und die Informationen darüber sind dabei - hart formuliert - nur Abfallprodukt.


Über die "gutgemeinte" Ausbeutung von Behinderung.
Beobachtungen zum Film "Rainman"
Angesichts von Kulturprodukten - handele es sich um engagierte Romane, Filme oder Anderes -, die "gut gemacht" der "guten Sache" dienen - handele es sich um politische oder humanitäre, ökologische oder religiöse Probleme - , fällt Ablehnung nicht leicht. Sollte man sich seine Kritik nicht besser für jene Fälle aufsparen, in denen der "schlechten Sache" gut gedient wird?
Der Film "Rainman" vereinigt Engagement für die "Sache der Behinderung" mit technischer und künstlerischer Qualität. Ihm unterlaufen keine allzu offensichtlichen Fehler weder im Inhalt noch in der Darstellung. In einnehmenden Bildern berichtet er glaubwürdig und einfühlsam von Raymond Babbit, einen durch Autismus behinderten und beschädigten Menschen, durch dessen Umgang Charly Babbit, sein Bruder, vom herzlosen Karrieristen zum fürsorgenden und verständnisvollen Menschen gewandelt wird.
"Rainman" dient - beispielhaft kann man fast sagen - einer "guten Sache". Er ist intelligent gemacht und hat Publikumserfolg. Was will man mehr? Und doch..... Sobald man den Film als Argumentationshilfe für den verständnisvollen Umgang mit Behinderung nutzen möchte, stellt man erst enttäuscht, dann ärgerlich fest, dass er in Wahrheit nicht dafür sondern für die diskriminierende Sonderbehandlung von Behinderung plädiert. Dabei scheint es doch, als sei die Befreiung aus Anstaltsenge und Manie, aus blindem Karrieredenken und Egoismus die eigentliche "frohe Botschaft" des Films.
Was stimmt nicht in "Rainman"? Wie führt die Reise der Herzensbildung eines Karrieristen trotz aller guten Vorsätze und Ansätze den Zuschauer zu guterletzt doch in die Irre? Um das aufzuzeigen, muss dem Film, der nicht analysieren sondern erzählen will, Gewalt angetan werden. "Rainman" ist alles anderes als ein Lehr- oder Thesenfilm. Doch um ihm auf die irreführenden Spuren zu kommen, unterlegen wir ihm ein so nicht vorhandenes - den Filmautoren vermutlich nicht bewusstes - Thesenmuster, das nach der alten Masche "Schöne Gefühle statt Solidarität" gestrickt ist.
1."These": Behinderung und Umgang mit Behinderung kostet Zeit, aber zahlt sich auf die Dauer aus.
Raymond ist ein wahrer Klotz am Bein des Bruders. Mit seiner unüberwindlichen Angst vor dem Fliegen etwa, überzeugend begründet durch die mit genauer Angabe von Absturzdaten und Unglücksopfern ausgeschmückte Aufzählung verschiedener Flugzeugunglücke, zwingt er Bruder Charly zur Autofahrt nach Los Angeles über die Highways. Und als man dabei auf eine Massenkarambolage stösst, sogar zur Weiterfahrt über einsame Landstrassen. Aus den drei Flugstunden von Cincinnati nach Los Angeles wird eine tagelange Überlandfahrt.
Das aber ist genau die Zeitspanne, in der aus Charly Babbit ein "anständiger Mensch" wird. Hat man uns nicht immer beigebracht, dass "gut Ding Weile haben" will und die Eile "vom Teufel" ist? Der autistische Rainman Raymond lehrt das seinen Bruder (und den Zuschauer) erneut.
Aber einer auf Produktivität gedrillten Gesellschaft reicht natürlich nicht allein der idealistische Gewinn der Musse. Erst der finanzielle Erfolg - und sei er auch nur im Glücksspiel erzielt - berechtigt zum Zeitverlieren mit Unzurechnungsfähigen. Bruder Charly platzt ein wichtiger Geschäftstermin durch des Bruders Trödeleien und ein Batzen Geld geht ihm damit verloren. Doch der in Dollars aufzurechnende Lohn für die Geduld folgt auf dem Fusse. Das Supergedächnis Raymonds verhilft dem Bruderpaar auf einem Zwischenstopp in Las Vegas zu einem Spielgewinn, der den geschäftlichen Schaden Charlys mehr als ausgleicht.
Unnötig zu sagen, dass sich die Zeitinvestition in Behinderte nie auszahlt, dass eine der entscheidenden Unvereinbarkeiten zwischen Behinderung und Normalität die je ganz andere Zeitverwaltung ist. Und dass die durch und mit Behinderung verlorene Zeit weder "produktiv" einzuholen ist noch sich jemals im Wortsinn auszahlt. Behindertenarbeit ist immer "verlorene Zeit".
Wer auf eine Einlösung seiner Investitionen setzt, wird bitter enttäuscht. Eine Gesellschaft, vor der sich Behinderung durch etwas, das auch nur entfernt den Anstrich von Erfolg und Ergebnis hat, ausweisen muss, wird früher oder später jegliche Investitionen in Behinderte und Behindertenarbeit einzustellen versucht sein. Sobald Behinderung tatsächlich als "Klotz" am launischen Spielbein des "Fortschritts" erkannt wird, schlägt gefühlige Solidarität in dem Wunsch nach Schutz vor dem Schutzbedürftigen, nach Verwahrung und Abschottung um.
"Rainman" Raymond wird uns im Film mit einer Behinderung vorgestellt, die ihn nicht als "überflüssiges" sondern sogar als geniales Mitglied einer auf's "schnelle Geld" versessenen Gesellschaft erscheinen lässt. Er ist nicht nur reich und erzeugt damit verdammungswürdige Ausbeutungsgelüste des Bruders, er erzeugt auf ebenso unerwartete wie staunenswerte Weise selbst Reichtum und verdient sich damit das Etikett eines durchaus "nützlichen" Mitglieds dieser Gesellschaft. Demgegenüber erscheinen seine autistischen Ticks durchaus tolerierbar. (In der Tat toleriert sie der Bruder, dessen Hektik bei der telefonischen Abwicklung seiner fehlschlagenden Geschäfte kaum weniger "tickhaft" erscheint, ja auch ohne grosse Probleme.)
Wir bekommen es hier mit der zweiten "These" des Films zu tun: Behinderung ist sogar beautiful. Mit der banalen Erkenntnis, dass Behinderung gesellschaftlich durchaus nützliche Spezialisierung nicht ausschliesst, wird sozusagen "Sympathiewerbung" für Behinderung betrieben. Der Narr ist ja, so wird nahegelegt, zugleich auch Genie.
Diese Hoffnung - so könnte man einwenden - gehört nun einmal zu den falschen, aber verständnisvollen Trostpflastern für's Anderssein. Der Neurologe, der den Eltern eines epileptischen Kindes die Namen der genialen Epileptiker vergangener Jahrhunderte aufzählt, handelt damit nicht unverantwortlich, wenn auch die Geschichte der Genies mit dem Alltagsproblemen dieser Eltern so gut wie nichts zu schaffen hat.
Im Film "Rainman" liegt das Problem aber anders. Hier wird im Zuschauer der Kurzschluss vorbereitet, dass sich Anderssein als "gesellschaftsfähig" dadurch legitimiert, dass es ein hervorragendes Anderssein bedeutet. Und wie wirken da Behinderte auf uns, die nur behindert und sonst gar nicht anders, nicht besonders "lieb", nicht "genial", nicht besonders "folgsam" und schon gar nicht besonders "dankbar" für die Fürsorgen sind, die sich die Gesellschaft mit ihnen macht.
Der Alltag des Behindert- und Andersseins ist bestenfalls unser mal grauer mal freundlicher Alltag, nicht selten jedoch ein trister und trauriger Alltag. Höhenflüge des Besonderen unterbrechen ihn weder für Betreuer noch Betreute. Die Ticks und Rituale, die Manien und Manieren der Behinderten haben nur das Besondere an sich, dass sie den Alltag der Normalen stören und auf die Dauer zerstören können. Richtig ist, dass das Fehlen von Zahnstochern auf dem Tisch einen Verhaltensgestörten zu unerwarteten und in der Öffentlichkeit "peinlichen" Reaktionen veranlassen kann, falsch ist, dass diese "Beleidigung" der Normalität wieder gut gemacht werden kann durch die prompte Nennung der Zahl der in der Schachtel verbliebenen Zahnstocher. Behinderte mögen Meister der Manie sein, Meister in den vielen vom Alltag erforderlichen Fähigkeiten werden sie so gut wie nie.
Und so kommen wir zur dritten, der eigentlich verdienstvollen und bedenkenswerten aber ganz und gar widersprüchlich vorgetragenen "These" des Films: Leben und Erleben gibt es nur "draussen". Heime und Anstalten mögen nötig sein, aber sie ersetzen "das Leben" nie. Erst als Entführter lebt der autistische Raymond auf, erlebt und lernt - wie sein Bruder dem Anstaltsdirektor stolz entgegenhält - in einer Woche mehr als in Jahren der Heimunterbringung.
Dem Film "Rainman" käme sicher das grosse Verdienst zu, eine Lanze gegen die Sonderbehandlung in Heimen gebrochen zu haben, wenn er nicht..... mit der erneuten Einlieferung des Behinderten in eine Anstalt enden würde! Wie kommt es, dass der Film seine "frohe Botschaft" vom Recht auch des Behinderten auf die ungefilterte Wirklichkeit des Lebens dadurch nicht nur in Frage stellt sondern geradezu Lügen straft, dass er Raymonds erneute Unterbringung ins Heim als selbstverständlich und unvermeidlich darstellt? Warum erscheint hier etwas "logisch", was im Leben durchaus unverständlich wäre: Dass nämlich ein mit einem Kapital von 3 Millionen Dollar, mit einem ihn liebenden, weder unbegüterten noch unwilligen Bruder begnadeter Menschen sein Leben in einer Irrenanstalt statt in einem behüteten aber "offen" Zusammenleben mit der Familie und der Nachbarschaft beschliesst.
Der Abschied von der Anstalt, der im Grunde die Logik des Lebens und die Lehre des Films für sich haben sollte, erscheint aus dem einfachen Grund im Film unmöglich, weil er zu "gut", zu "glatt" zu "simpel" wäre. Dass ein Egoist zur Menschlichkeit bekehrt wird, ist schon das Äusserste, was man dem Film konzediert. Die autistischen Probleme des "Rainman" lösen, wäre mehr als man dem Zuschauer zumuten kann. Jetzt wird offenbar: Es ging eben in der ganzen Geschichte nicht um den autistischen Raymond sondern um den Karrieristen Charly, es ging um die Wandlung des Egoismus zum "guten Gefühl", um die Anteilnahme des Zuschauers nicht durch Belehrung sondern durch Rührung. Danach bleibt alles wie es war.
Die Normalen gehen ihren Weg und lassen die "Behinderten" - gelegentliche Besuche nicht ausgeschlossen - in ihrer geschlossenen Welt für sich. Der kaum begonnene, von der Filmgestalt Raymond akzeptierte, aber von den Autoren des "Rainman" brusk abgebrochene Diskurs darüber, warum es nicht zwei Welten, die der Normalität und die des Andersseins, sondern nur die eine des (in irgendeiner Form immer behinderten) Lebens gibt, ist wieder einmal um einen Gefühlsaufschwung reicher und ein notwendiges Argument ärmer.
Stefan Heiner



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