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Title Vorleser, Der
Originaltitle: The Reader
Regie: Stephen Daldry
Darsteller: Ralph Fiennes, Jeanette Hain, David Kross, Kate Winslett
Erscheinungsjahr: 2008
Land: USA
Stichwort: Analphabetismus
Release: 10.12.2008

Handlung
Erzählt wird der Lebensweg der Analphabetin Hanna Schmitz vom Moment an, als sie Aufseherin in Auschwitz wird bis zu ihrem Selbstmord im Gefängnis. Dies geschieht in drei durch flash-backs verbundenen „Abschnitten“ mit einer Art Nachwort. Die Scham vor ihrem „Bildungsmangel“ macht, dass ihr Leben pünktlich die jeweils verhängnisvollste Wendung nimmt. Ihre Verstrickung in den Holocaust wird Hanna nicht vergeben.


Weitere Info
Nach dem Roman von Bernhard Schlink, Der Vorleser, 1995; 1997 ins Englische übersetzt, sehr erfolgreich bei den Lesern und der Kritik.
Hanna erscheint von Anfang an als sehr praktische, unsentimentale, keinesfalls aber beschränkte Frau, die zur Gewalttätigkeit neigen könnte. Sie ist jung und attraktiv. Differenzierte, zuweilen unmotiviert erscheinende Gefühle zeichnen sie aus. Nichts lässt auf versteckt „Monströses“ in ihrem Verhalten schliessen. Ihre leidenschaftliche Liebe zu dem 20 Jahre jüngeren Michael, die erwidert ist, erscheint so rührend wie hoffnungslos.
Fassungslos wie Michael ist der Zuschauer/Leser darum, als er von ihrem grausamen Vorleben im Dritten Reich erfährt. Dass ihr anhaltendes und kaum reflektiertes Mittun bei der Vernichtung der Juden sich der Scham verdankt, als Analphabetin entdeckt zu werden, macht fassungslos.
Dem Zuschauer/Leser werden kaum Hinweise gegeben, über die er Zusammenhänge zwischen scheinbarer Zweitrangigkeit der Motive und Zentralität der Verstrickung begreifen könnte. Analphabetismus (durchaus als eine Art „eingeborene“ Behinderung zu verstehen) wird weder im Film noch im Roman wirklich thematisiert. Bildungsmangel und individuelle Reaktion darauf sind in der Tat auch kein Thema von Roman und Film, sondern werden als Motivation leider rein instrumental eingesetzt. Wieso die intelligent agierende Hanna nie Lesen und Schreiben gelernt hat, erfährt man nicht. "Behinderung" ist, wird nicht erworben. Lässt sich deswegen auch nicht abschaffen?
Nach einem tiefen Sturz in der Sympathie des Protagonisten (und durch die anziehende Persönlichkeit von Hanna/Winslett) abgemildert auch beim Zuschauer/Lesers) gewinnt Hanna diese rasch zurück. Sie nimmt (scheinbar) die Schuld auf sich. Sie wird iuristisch unzulänglich begründet bestraft. Das Gericht lässt seinem moralisierenden Elan ungebremst durch Tatsachenfeststellung freien Lauf. Der Kontrast zur Strafe für ihre ungleich gröber und brutaler wirkenden „Kolleginnen“ ist auffällig. Das Stimmt auch den Zuschauer/Leser milde.
Eine gewisse Sympathie wäre auch durchaus stimmig, wenn deutlich würde, dass Hanna zu verstehen und zu bereuen beginnt. Nichts davon im Film (und leicht zu überlesende Fingerzeige im Roman) – weder während des Prozesses noch nach langjähriger Gefängnishaft.

Hannas „Verfall“ in den letzten Gefängnisjahren ist auch kaum deutbar. Zu viel (Freiheitsentzug, Liebesentzug, Schuldgefühle) kommt dafür zusammen. Dass z.B. der lang anstehende Kampf gegen den Analphabetismus endlich Hannas Blick frei geben könnte auf ihr unsäglich verpfuschtes Leben, ist wiederum kein Thema. Den Film/Roman-Autoren gegenüber mag es unfair sein, darauf bestehen zu wollen, das dies doch ihr Thema hätte sein sollen.
Unerklärliche Schuld und unmögliche Sühne bleiben die Quintessenz der Geschichte. Opfer und Täter scheinen sich darin einig zu sein. Hanna erklärt nahezu ungerührt die Toten für tot und Brigitte, die beinahe eines ihrer Opfer geworden wäre, betont, mit Hanna nichts zu tun zu haben. Dabei haben sich beider Lebenswege doch gekreuzt, weil Hanna einer „Behinderung“, die mit Wissen, Lernen und Umkehr zu tun haben könnte, unbegreiflich konsequent ausgewichen ist.
Vor der "Unfähigkeit zu Trauern" stand ja im Deutschland der 40er/50er Jahre des vorigen Jahrhunderts - und lange danach auch - die Weigerung zur Kenntnis zu nehmen, bzw. die selbstverschuldete Unfähigkeit, dies überhaupt zu können.


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