Kommentar: |
Beatriz bekommt drei Anfälle in entscheidendem Moment. Zu Anfang hat sie eine Vision, die durch Augenblinzeln eingeleitet ist, und in der sie dem Mann, dem sie verfallen ist und der sie verlassen hat, sagt, was sie von ihm hält. Danach bricht sie verzweifelt im Hof vor dem Haus, in dem sie wohnt, zusammen und bildet dabei einen Arc de Cercle. Sie schliesst sich leidenschaftlich Padre Nazarin an. Als sie erkennen muss, dass sie ihn als Ersatz für ihren Liebhaber genommen hat und keineswegs auf dem Weg zur Heiligkeit ist, fällt sie in einem neuen Anfall zu Boden und krampft bzw. windet sich. Padre Nazarin, der gegen Aberglauben und für die Wahrheit – auch die medizinisches Behandlung Kranker – kämpft, wird zum Gegenstand der Idolatrie, als er sich um ein erkranktes Kind kümmert. Eine der dabeistehenden Frauen fällt mit einem Schreikrampf zu Boden.
Mit den beiden ihm gegen Ende des Films ergebenen Frauen bildet Nazarin einen Dreiklang unterschiedlicher (religiöser Weltsicht). Nazarin ist besessen von der himmlischen Liebe, Beatriz von der irdischen (zu Pinto), Aralda, die Liebesdienerin, vermittelt, indem sie dem Guten gewogen ist und den Bösen verflucht. Sie verkörpert mit Brutalität, Humor und Überzeugung des Realitätsprinzip, dem sich weder Nazarin noch Beatriz beugen wollen.
In diesem Dreiklang kennzeichnen die (pseudo-epileptischen?) Anfälle von Beatriz ihre besondere Rolle, als ("satanisch") von der Absolutheit der irdischen Liebe Besessene. Sie ist Nazarins heimliche Verführerin und der schließliche Judas auf seinem Weg. Ihre "epileptischen" Anfälle treten in einem jeweils bedeutungsvollen Momenten einer Wandlung auf: von der Liebesbesessenen zur Verlassenen, von der Heiligenverehrung zum Verrat.
Eine Blickstarre mit Lidmechanismen, die der Absence nahekommt, signalisiert den Beginn der Wandlung. Traum-Bilder vom liebstrunkenen Pinto, die als Wunschbilder eigentlich Jamais-vue-Anfälle zu nennen wären, führen sie zur abschließenden Verwandlung in eine Hysterikerin, die sich schreiend im Arc du Cercle am Boden windet.
Ihre Schrei- und Wutkrämpfe im Moment der Rückkehr zu bürgerlicher Gesittung und zur Akehr von Nazarin sind weit psychologischer zu deuten als die ersten zwischen epileptischer Realität und Hysterie schwankenden Anfallsformen.
Angesichts von Beatriz' Epilepsie - soweit sie eine ist, in den Augen ihrer Umgebung ist sie es - bewährt sich Nazarins rationale Gläubigkeit. Er glaubt nicht an überirdische Mächte, an Wunder und Magie. Epilepsie ist ihm keine Besessenheit sondern ausdrücklich eine Krankheit. Ihr gegenüber verhält er sich wie gegenüber dem fiebernden Kind. Er beharrt darauf, dass ihr nicht mit Gläubigkeit sondern mit medizinischer Wissenschaft zu begegnen ist.
Bunuels Nazarin tritt die Christusnachfolge auch als Korrektur der abergläubischen Verkehrung der christlichen Botschaft an. Mit Beatrize's krankhaftem Verhalten versucht der Teufel Nazarin also gleich zweimal. Er gaukelt ihm zunächst die Liebe zu Gott vor, die sich aber als sexuelle Begierde herausstellt.
Dann fordert er ihn auf, seine ""himmlischen Kräfte"" an einem exemplarischen Fall von ""Besessenheit"" zu beweisen. Wie Christus auf dem Berg besteht Nazarin diese Probe. Liebe ist bei Nazarin immer Liebe zu Gott, zu seiner Mission. Er liebt "seine Frauen"- wie seine Feinde - d.h. zweckfrei und unschuldig. Seine säkularisierte Frömmigkeit hindert ihn daran, sich als Wundertäter feiern zu lassen. In diesem Sinne verfügt er über einen europäischen, aufgeklärten Glauben, an dem Bunuel zuletzt den Teufel scheitern lässt.
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