Kommentar: |
Der Film - streckenweise eine Doku-Fiction unter Verwendung von Originalaufnahmen des Attantats - entand auf der Grundlage der Büchern von Jim Garrison und Jim Mars. Er dokumentiert die fortbestehenden, ernsten Zweifel an der noch heute beibehaltenen offiziellen Attentats-These (Oswald) und an der Arbeitsweise der Regierungskommission. Auf der Ebene der Erzählung präsentiert sich der Film als leidenschaftliches politisches Plädoyer für die prozessuale Wahrheit gegen alle Staatsraison. Er kann aber auch als ein filmischer Essay gesehen werden, über die Grenzen der Bilddokumentation. Weder den Dokumentaraufnahmen vom Mord an Kennedy noch dieser Doku-Fiction gelingt eine überzeugende Rekonstruktion dessen, was wirklich geschah.Dieser Doppelaspekt - politische Anklage, filmischer Essay - charakterisiert schon das Vorspiel des Films. In einer dramatischen Montage von Dokumentar- und Spielfilmszenen läßt der Regisseur die Zeit kurz vor der Ermordung Kennedys Revue passieren. Eine sekundenlange, offensichtlich gestellte Dokumentarszene zeigt einen Mann am Straßenrand während eines Grand mal-Anfalls.Was zunächst wie eine dramatische Bild-Metapher des ""Bösen"" und des ""Chaos"" erscheint, erweist sich später als mehr, nämlich als kriminalistischer Mosaikstein zum Beleg der Komplott-Theorie. Der Anfall ist demnach simuliert und soll Polizeikräfte ""ablenken"" und ""beschäftigen"". Er findet sich darum auch in keinem Einsatzbericht. Nichts ist im Vorfeld des Attentats in Wirklichkeit so, wie es erscheint.Dem Spielfilm ""JFK"" geht es aber genauso. Er ""dokumentiert"" den angeblichen Anfall im Bilderbogen der Originalaufnahmen vom Attentat, bedient sich also einer gestellten Bildfolge, um der Wirklichkeit angeblich um so näher zu kommen. Dokumentarische Aufnahmen von diesem Anfall gibt es nicht. Die Kürze der Szene und die geringe Bedeutung, die ihr im Ganzen zukommt, verwischt ihren medialen Stellenwert.Die anfangs gezeigte Szene, in der ein Mann sich in Krämpfen auf der Straße windet, kurz vor der Vorbeifahrt der Präsidenten-Kolonne, etwa an der Stelle des Attentats ist in ihrer Bedeutung für den Film kaum verständlich. Anfänglich fügt sich die Szene nur dem hektischen Szenenablauf ein. Dem Zuschauer nicht erkennbar - insbesondere durch die Raschheit der Montage - werden originale Aufnahmen (z.B. das Amateurvideo des Attentats), und gestellte ""Dokumente"" (z.B. eben diese Anfallsszene) und sichtliche Spielfilmszenen gemischt. Die Anfallssequenz kann mehrschichtig gedeutet werden: das Hektische an sich, die verlorene (politische) Kontrolle, das Dämonische, der Teufel, der Zufall spielt, das ""Kranke"" etc. Erst gegen Ende des Films erweist sich die Szene als ein nicht unwichtiges Indiz für das Komplott. Die scheinbare Dokumentaraufnahme ist also die nachgestellte Dokumentaraufnahme eines gestellten Anfalls. Diese Szene ist nicht, was der Zuschauer in Dallas hat sehen können und nicht, was der Filmzuschauer hat erkennen können. Realität und Dokument und Fiction gehen unkontrollierbar ineinander über, ein bedeutungsvolles Vorspiel des kommenden Verwirrspiels, das auch ""JFK"" nicht auflösen wird.Wie immer man Oliver Stones Film-Tribunal bewerten mag, es ist eine Elegie auf die Unzulänglichkeit des (Zu)Sehens. Dafür ist das Kennedy-Attentat vielleicht eines der epochalen Medienereignisse, das gefilmt vorliegt und doch nicht enträtselt werden kann. Obwohl die ganze Mordszene im Bild festgehalten ist, läßt sich aus dem Amateur-Video keine völlig schlüssige Version der Vorgänge filtrieren. Die Wahrheit bedarf nicht nur der Augenzeugen sondern einer sinnvollen Rekonstruktion des Gesamtverlaufs, der ohne Motiv-Forschung nicht geleistet werden kann. Das Auge ist nur eines der Hilfinstrumente zur Wahrheitsfindung.
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