Kommentar: |
Aufgenommen in die Epilepsie-Filmographie von Kerson, Toba et al.: Implacable Images: Why Epileptiform Events Continue to be Featured in Film and Television, http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/16793571
http://www.john-libbey-eurotext.fr/en/revues/medecine/epd/e-docs/00/04/1B/94/article.md
Der Film ist in guten Teilen des Regisseurs eigene Geschichte. (Wikipedia)
Epilepsie ohne Anfälle
Sam hat Epilepsie aber keine Anfälle. Sie selbst spricht nicht gern darüber. Ihre Mutter erwähnt die Krankheit fast beiläufig. Bei Andrew löst sie dadurch keinen Alarm aus. Als alarmierend wird in diesem Film eher das "zwanghafte Lügen" Sams und die Seelenlage Andrew's dargestellt. Das ist - angesichts der vielen Epilepsiekranken der Spielfimwelt, die sich in Krämpfen winden müssen - sehr erholsam.
Etwas Ähnliches gelingt nur noch Tom Moore's "Nacht Mutter" (1986). Allerdings endet diese Filmerzählung in vollkommener Verzweiflung und Selbstmord der epilepsiekranken Jessy Cates. Nur indirekt kann dafür ihre Krankheit verantwortlich gemacht werden, weil sie zu einer völligen Isolierung der jungen Frau geführt hat. Man möchte fast sagen, hätte Jessy eine Mutter wie Sam gehabt und hätte sie einen Andrew gefunden, wäre ihr das Letzte erspart geblieben.
Sam's Epilepsie könnte bei der Betrachtung von Garden State als marginal übergangen werde. Aber warum wird sie dann in die Geschichte eingeführt? Möglich, dass Zach Braff selbst damit zu tun hat oder hatte und sie als autobiographisches Element nutzt. Genau besehen spielt die Krankheit aber trotz mangelnder bizarrer Anfälle eine "bizarre" Rolle, die schwer durch ein anderes Krankheitsbild ersetzt werden kann.
Narrative Funktionen der Epilepsie
Andrews körperlicher und seelischer Zustand ist mehr wie alarmierend. Man könnte fast annehmen, er habe Epilepsie. Denn:
Er weicht jeder Konfrontation mit seiner traumatischen Jugend aus. Täuschend echt – laut Sam – spielt er einen behinderten jungen Mann in einem TV-Film. Ansonsten ist er als „Film-Star“, als den ihn seine Jugendfreunde feiern, gescheitert. Ihn plagen Albträume. Gleich eingangs findet er sich in einem Flugzeugabsturz wieder, nur um erwachend zu erfahren, dass seine Mutter gestorben ist. Ihn quält anhaltender Kopfschmerz, der ihn blitzartig überfällt. Er steht unter Psychopharmaka wie ein Drogensüchtiger. Er kann nicht schwimmen. Dass ihm bei seinem Besuch in der Heimatstadt der Neurologe bestätigt, er habe nichts, macht an der ärztlichen Kunst zweifeln.
Dass das Computertomogramm unauffällig bleibt, ist in der Neurologie der Filmwelt ungewöhnlich. In Wirklichkeit ist dies bei Menschen mit Epilepsie aber nichts Besonderes. Alles in allem passt zu Andrew perfekt die Verzweiflung, die manchem Menschen mit Epilepsie im Spielfilm (aber auch in der Wirklichkeit) vorbehalten ist.
Die tatsächlich epilepsiekranke Samantha, genannt Sam, hingegen geht das Leben locker, witzig und selbstbewusst an. Sie präsentiert sich nach Gutdünken „zwanghaft lügend“. (Es gehört zu den Stilunsicherheiten des Films, dass das „Zwanghafte“ als möglicherweise psychisch bedingt dargestellt wird.) Sie reagiert auf die Eröffnung der Mutter, ihre Tochter habe Epilepsie, betreten – aber nicht mehr wie auf den Stolz der Mutter darauf, dass Sam mal eine sehr sportliche „Eisprinzissin“ war.
Wirklich epilepsiekranken Menschen möchte man die Leichtigkeit wünschen, mit der Sam ihre Krankheit lebt. In der Tat schlägt sie ihrem neuen Freund auch vor, das Leben lachend und weinend zu nehmen; denn Sam ist keineswegs frivol oder leichtsinnig. Andrew muss das erst noch lernen, worüber der Film dahingeht und was am Ende nur gelingt, weil die Filmautoren sich das Happy End nicht verkeifen können. So angelegt hat die Filmfigur „Sam“ wirkliches etwas Beispielhaftes für junge Menschen mit Epilepsie.
Was aber hat es in diesem Film überhaupt mit Epilepsie auf sich? Eigentlich nichts neurologisch Spezifisches. Sie dient der Handlung. Sam’s Epilepsie macht vor allen Dingen glaubhaft, was eigentlich völlig grundlos ist: Sam’s Isolation. Wie es dazu kommen konnte, erklärt der Film nicht hinreichend. Offensichtlich vertrauen seine Autoren darauf, dass der Zuschauer das – seinem eigenen Vorurteil entsprechend - für selbstverständlich hält.
Sam’s Mutter deutet an, dass die Epilepsie eine Rolle gespielt haben könnte bei dem Verzicht der Tochter auf eine Karriere als „Eisprinzessin“. Das ist aber schon alles – und schlicht zu wenig. Es muss halt so sein: Wieso sonst kann ein so schönes und aufgewecktes junges Mädchen noch „frei“ sein für einen so verklemmten jungen Mann wie Andrew. Ohne Epilepsie müsste der Zuschauer diese Konstellation für eine Laune der Filmautoren halten.
Ähnlich geht es mit einem von Sam’s bizarren Attributen. Sie trägt einen Helm bzw. setzt ihn plötzlich auf, als Andrew sie mit seinem Oldtimer-Motorrad heimfahren will. Während in anderen Filmerzählungen das Helmtragen den Moment der Wahrheit und der Zurückweisung kennzeichnet, führt es hier die demnächst Liebenden erstmals zusammen. Andrew fährt ein bizarres Motorrad. Sam trägt den dazu passenden Helm. (Seltsamerweise wundert Andrew sich auch gar nicht, als Sam diesen Helm aufsetzt!)
Dem Zuschauer wird einiges zugemutet, wenn man ihn glauben macht, Sam sei dazu von ihrem Arbeitgeber gezwungen worden, weil sie während der Arbeit mal einen Anfall hatte. Unwissend und voreingenommen wie man ihn sich vorstellen kann, wird er schlucken, dass am Arbeitsplatz bizarre Regeln gelten, die in der Freizeit nach Gutdünken angewendet werden können.
Sam’s Mutter besteht keineswegs wie die traditionellen, überbehütenden Mütter in gängigen Filmen darauf, dass Sam ihren Helm dauernd trägt. Im Gegenteil, sie ist stolz auf die sportlichen Erfolge ihrer Tochter. Womöglich hat sie ganz untypisch auch nichts dagegen, dass ihre angeblich anfallgefährdete Tochter mal Schwimmen geht, mal sich über tiefe Abgründe neigt.
Da die Epilepsie in diesem Film medizinisch nicht die geringste Rolle spielt, da keine ihrer sonstigen „Folgen“ den Zuschauer ängstigen, ist sie eines der besten Beispiele funktionaler „Erkrankung“ einer Filmfigur. Sie stellt ein normales Mädchen für einen Psychopathe frei. Sie gibt ihr die für seinen Geschmack notwendigen bizarren Attribute. Sie begründet das erste „Stelldichein“ beim Neurologen. Da sie sonst keine Funktion hat, kann der Zuschauer bestens damit leben – viel besser als in der Wirklichkeit.
Zitat aus dem Drehbuch (siehe http://www.script-o-rama.com/movie_scripts/garden-state-movie-transcript.html) :
Pretending to be someone else.
I've been so out of it lately, the only parts I get offered are playing handicapped people.
- That is not funny.
Oh, come on. You gotta see that's a joke.
If you can't laugh at yourself, life's gonna seem a whole lot longer than you'd like.
All right, so what are we laughing at you about?
Mm. I lied again.
- I have epilepsy. - Which part are we laughing about?
I, um...
I had a seizure at the law office where I work.
And they told me their insurance wouldn't cover me unless I wore preventative covering.
- What's preventative covering? - The helmet I was wearing.
Oh, come on!
That's funny. That's really funny.
I mean, I'm the only person who wears a helmet to work...
who isn't, like, putting out fires, or, like, racing for NASCAR.
Well, what do you do? I mean, I can't quit. Their insurance is amazing.
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