Kommentar: |
Die Filmerzählung weicht in wesentlichen Momenten von Verga's Erzählung ab. Diesem geht es um den geistig-körperlichen Verfall und den schließlichen Tod einer ""Gefangenen"". In der Vorbemerkung zu Marias (fiktiver) Korrespondenz mit ihrer Freundin Marianne begründet er den Titel mit dieser Erzählabsicht. Die Capinera (Grasmücke) stirbt gefangengehalten und versorgt im Käfig. Sie kann sich nicht selbst befreien, sie rebelliert nicht gegen ihre ""Wärter"", sie geht ein, weil sie nicht frei fliegen darf wie ihre Artgenossen.
Zeffirelli hat aus diesem Melodrama des verfehlten Lebens ein Drama der Gefühle gemacht. Die Protagonisten werden dieser schließlich so weit Herr, daß sie sie vergeistigen können. Maria befreit sich von der obsessiven Präsenz Ninos und wird wieder frei für höhere Zwecke. Nino vergißt sie nicht, sondern verzichtet im Dienst höherer Gesundheit auf Maria. Was Verga als Anklage gegen religiöse Opferrituale gestaltet, gerät Zeffirelli zum Weihespiel der Weltentsagung. Beide nutzen die tränenreiche Geschichte der ""Capinera"" um auflagenwirksame Gefühlsstürme im Publikum zu entfachen. Mit Vergas Zielsetzung ist aber immerhin noch ein das Menschenrecht auf Selbstbestimmung einklagender, aufklärerischer Effekt verbunden. Zeffirelli verzichtet darauf, der schönen Seelenregung Marias und des Publikums wegen.
Epilepsie spielt bei dieser Wendung der Erzählrichtung eine sehr untergordnete aber markante Rolle. Maria fürchtet wahnsinnig zu werden unter der Seelentortur. Sie weiß, welches Schicksal Schwestern vorbehalten ist, die nicht Herr ihres Wunsches nach Selbstbestimmung werden und entsagen. Ihnen steht der echte Kerker als abschreckende Maßnahme bevor.
In der Tat endet Maria dann auch ""irrtümlich"" einen Tag in der ""Ausnüchterungszelle"". Hier entscheidet sie sich für den Tod durch Auszehrung, der ihr dann auch gewährt wird. Schwester Agathe hingegen bleibt als ""Wahnsinnige"" gebrandmarkt dem Kloster immerwährend erhalten. Für ihre ""Zustände"" gibt es keine Diagnose und auch im Roman keine Erklärung. Worüber Agatha ""wahsinnig"" geworden ist, wird nicht berichtet.
Anders bei Zeffirelli. Hier ist die Krankheit Agathas konkret: Epilepsie. Und die Ursachen werden benannt: Liebestortur. Allen dient Epilepsie nun als Maske, hinter der sie den Mangel an Diagnose (Ärzte), die Ursache der Segregation (Klosteroberen), das Mitleid (die versorgende Schwester und Maria) und die Ursache der Unheilbarkeit (Schwester Agatha selbst) verbergen können.
Die vorgeführten Anfälle verlieren so - medizinisch begründbar - ihren realen Informationsgehalt. Während die Oberen bei Verga mit Wahnsinn als Disziplinarmaßnahme drohen, objektiviert Zefirelli den Status des Kontrollverlustes in einer gerade für diesen Aspekt bekannten Hirnerkrankung. Von dem Herrschaftsinstrument bleibt in seiner Krankheitsversion eine Zuschreibung übrig, die zwischen Schonung der Kranken und Schonung der Gemeinschaft angesiedelt ist.
Maria's Weg vom Liebesverzicht zum klösterlichem Frieden duldet keine äußeren Zwangsmaßnahmen und ist darum nur in der Gefahr zur diagnostizierbaren Krankheit zu werden. Zeffirelli zieht aus der interessanten ""Krankengeschichte"" nicht die Konsequenz, das Leben in diesem Kloster ganz in Frage zu stellen. Maria wird hier - die Rituale besser beachtend - ihr Leben im Stillen aber nicht ganz im Verborgenen verbringen können.
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