Kommentar: |
Episode (aus Kiel) der Tatortserie der ARD, ausgestrahlt am 9.9.2012
Nach einer hitzigen Diskussion mit ihrem Vorgesetzten bekommt Sarah Brandt einen Krampfanfall, bei dem sie zu Boden stürzt. Diesem Anfall geht eine Aura voraus, während der Sarah einen Zug auf sich zukommen sieht.
Borowski fängt seine Assistentin auf und trägt sie in sein Büro. Als er sie für "arbeitsunfähig" erklärt, kontert diese "Ich hab's im Griff". Borowski leitet seine Kenntnis des Falles nicht an die Dienststelle weiter, zieht es aber vor, selbst zu fahren statt sich von Sarah fahren zu lassen.
Beim Gerichtsmediziner, der die Leiche von Kessler untersucht, holt er sich Informationen über Epilepsie. Er erfährt dabei erstaunlich ausführlich, wie epileptische Anfälle im Gehirn wirken (an die Stelle des kreativen Chaos der Nervenkommunikation tritt Gleichschritt der Nervenzellen). Der Gerichtsmediziner erklärt aber auch schnoddrig wie Dr. House "Epileptiker sterben früh". Diese Aussage dürfte Borowski weiter milde gestimmt haben gegenüber seiner "arbeitsunfähigen" Assistentin, die auf keinen Fall Bürodienst schieben will.
Zur Epilepsie von Sarah Brandt
Im folgenden Tatort aus Kiel: Tatort: Borovsik und der freie Fall (Folge 846 / 14.10.2012) hat Kommissar Borovski’s Assistentin wieder einen Anfall. Er wird aber kaum wahrgenommen. Nachdem Sarah Brandt’s unkontrollierte Epilepsie in der Folge „Borowski und der stille Gast eine wichtige Nebenhandlung ausmacht, wird hier nur kurz auf ihre Epilepsie angespielt.
Inhaltsangabe zu dieser Folge: Der Kieler Autor Dirk Sauerland wird tot auf seiner Jacht aufgefunden. Sauerland war über die Grenzen von Kiel hinaus bekannt. In den letzten Monaten hatte er an einer spektakulären Enthüllungsgeschichte gearbeitet. Sauerlands Exfrau Ulla Jahn, die eine beliebte Talkshow moderiert, gibt Hauptkommissar Borowski und Kommissarin Sarah Brand einen Hinweis auf das schwule Doppelleben des Toten. Was hat Landespolitiker Karl Martin von Treunau für ein Interesse, seine Beziehung zu dem Toten zu verheimlichen? Ein Kontaktbogen mit Fotos aus den 80er Jahren bringt Borowski auf eine alte Spur. Vor 25 Jahren starb der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Uwe Barschel in einem Hotel in Genf. Offenbar war Dirk Sauerland zur gleichen Zeit vor Ort. Was hatte er damals entdeckt, und warum musste Sauerland heute sterben? Sarah Brand stürzt sich voller Eifer in die Recherche des Barschel-Falls. Borowski bleibt lieber Realist. Dann taucht plötzlich ein Zeuge aus Genf auf. (Text: ARD)
Im Text der ARD kommt der Anfall nicht vor. Ein Zuschauerkommentar aber lautet: Long live Borowski and all the best to “Mrs. Hack”. Keine neuen Epilepsiaanfaelle bitte ; nico [nyc]
Ausgiebig wird die Epilepsie bzw. ihr Anfall aber nach der Episode in Borowski und der stille Gast kommentiert:
Zuschauerkommentar des ARD Forums 9.8.2012 http://forum.daserste.de/showthread.php?t=1268664&page=2
Wahnvorstellungen
Also Wahn selber ist ja eine krankhaft entstandene Fehlbeurteilung der Realität, d.h. der Kranke sieht die Realität anders als ein Gesunder sie sieht. Sarah hatte ja vor dem Krampfanfall eine Aura (sprich der fahrende Zug), solch eine Aura haben die meisten Epileptiker. Sie spüren, dass jetzt ein Krampfanfall kommt. Sarah selber hatte, so wie ihr Borowski sagte, einen Krampfanfall, der 30 Minuten dauerte. Normalerweise haben Epileptiker auch ein Notfallmedikament (z.B. Diazepam Tropfen), welches man während einer Pause in einem Krampfanfallsstadium verabreicht.
Ich denke nicht, dass Sarah´s Aura etwas mit dem Fall zu tun hatte. Ich würde mich dafür interessieren, wie es mit Sarah weitergeht. Das Thema Epilepsie sollte in der heutigen Zeit nicht mehr tabuisiert werden. (von „speaking)
Die ARD selbst gibt sich grösste Mühe bei der Information über Brandt’s Krankheit:
Die Epilepsie-Episode:
Der Drehbuchautor Sascha Arango wird in den Begleittexten der ARD ausdrücklich danach gefragt:
Zunächst führt er aus, dass es der Tatortserie neuerdings darum gehe „ein grösseres Mass an persönlichen Vorgängen, an Intersubjektivität in den Geschichten herzustellen.“ Er habe dies bei der Ausgestaltung der Rolle von Brandt realisiert. .. diese Figur funktioniert sehr gut durch ihre völlig Andersartigkeit, durch ihre Aggressivität und auch ihre Neigung, sich über das Gesetz zu stellen.“
Dann antwortet er auf die Frage nach den Epilepsiemotiven, speziell zu der langen Szene, in der der Polizeipathologe Borovski über Epilepsie aufklärt (Ein epileptischer Anfall ist eine plötzliche Zwangsgleichschaltung der Hirnzellen. Normalerweise herrscht unter diesen ein scheinbar chaotischer Austausch. Zur Lebenserwartung bei dieser Krankheit: Epileptiker sterben früh.) Arango: Die Erklärszene über Epilepsie habe ich auf Bitte der Redaktion übernommen. Ich bin Epileptiker, und genauso wie im Film ist es mir mal bei einer Recherche zu einem „Tatort“ anhand eines gerade entnommenen Gehirns in der Pathologie erklärt worden.“
Der Vorfall selbst: Klaus Borowski und Sarah Brandt geraten aneinander. Sie erleidet nach einer hitzigen Diskussion vor den Augen ihres Vorgesetzten einen Anfall. Sie hat plötzlich eine Aura. Sie sieht einen Zug auf sich zurasen. Darauf folgt ein Grand mal-Anfall, bei dem sie stürzt und krampft. Brandt ist „Epileptikerin“, konnte aber ihre Krankheit bislang geheim halten. Borowski fängt sie auf und trägt sie in sein Büro, dessen Tür er abschliesst, damit von dem Vorgefallenen niemand etwas erfährt.
Der Kommissar ist erschüttert und nimmt wie immer kein Blatt vor den Mund. "Sie sind arbeitsunfähig", bescheidet er Brandt. "Ich hab's im Griff", kontert Brandt und bittet ihn, sie nicht verraten. Und tatsächlich, Borowski hält vorerst dicht. Borowski ist verstört und ratlos. Er dringt aber in sie, sich den Vorgesetzten zu offenbaren. Sie weiss, dass das das Ende ihrer Karriere auf dem Kommissariat wäre. Das will auch er nicht.
Doch Brandt dürfte ihren Job keinesfalls wie bisher ausüben. Sie dürfte keine Waffe tragen und nicht Auto fahren. Borowski überlässt es aber Brandt, wie und wann sie sich erklären will. Nur lässte er sie beim nächsten Mal nicht ans Steuer.
Durch das Ereignis erhält die Beziehung zwischen Borowski und Brandt eine neue Note. Sie teilen ein intimes Geheimnis. Beide begehen eine Gesetzesübertretung.
Dr. Stefan R.G. Stodieck ist Ärztlicher Leiter des Epilepsiezentrums Hamburg und Fachberater beim Kieler "Tatort". In den Texten zur ARD-Episode berichtet er von etwa zehn vergleichbaren Fällen in seiner Klinik pro Jahr. Er appelliert daran, Betroffenen nicht mit Vorurteilen zu begegnen. Es gelte, auch als Vorgesetzter im Beruf, den Einzelfall genau zu betrachten. "Viele Entscheidungsträger, auch Polizeiärzte, verfahren leider nach Schema F und sagen: Entweder voll einsatzfähig oder gar nicht."
Stodiek ist durch die Schauspielerin Kikilli als Experte zugezogen worden. Diese wollte möglichst lebensecht den Anfall spielen und mehr über Epilepsie wissen. Erst anschliessend ist er von der Redaktion offiziell mit seinen Aufgaben als Berater betraut worden. Er hat sich mit einem fertigen Drehbuch auseinandersetzen müssen, an dem in der Phase, in der er zugezogen wurde, kaum mehr etwas zu ändern war. (mündliche Mitteilung)
Zur Funktion der Szene
Darüber gibt Axel Milberg, der Schauspieler des Klaus Borovski interessante Auskunft:
„Die Beziehung zwischen den Beiden (Borowski und Brandt) ist nicht nur auf Sympathie gegründet. Sie teilen gegenüber der Behörde und dem Vorgesetzten ein Geheimnis. Dadurch entsteht Spannung und auch Nähe.“
Diese Bemerkung erklärt in gewisser Weise die ungewöhnlich lange und ausführliche Szenen, in der sich Borovski vom Pathologen über Epilepsie ausklären lässt. Sie schwankt zwischen rationalen, medizinischen Äusserungen und makabren Effekten. Der Mediziner erläutert Krankheitssymptome, indem er einem gerade erst geöffneten Schädel die Hirnmasse entnimmt. Dann beschreibt er in einem ungewöhnlichen Bild (gleichgeschaltete Hirnzellen als Marschkolonnen) neuartig und aufklärend (Epilepsie ist keine Chaos-Krankheit) Vorgänge während eines epileptischen Anfalls. Und er schliesst mit der medizinisch übergeneralisierenden, schockierenden Bemerkung: "Epileptiker sterben früh.“
Das Gespräch bietet also ausreichendes Material für ein Wechselbad der Gefühle Borowskis gegenüber Brandt. Aus diesem Wissens- und Gefühlspool kann immer wieder geschöpft werden, wenn die persönliche Beziehung der beiden Kommissare die Berufsroutine der beiden differenzieren und einfühlsamer gestalten soll.
Über das Verhältnis eines Schauspielers zur Darstellung eines epileptischen Anfalls gibt Kekilli Auskunft:
„Wenn ich nur Dialog-Szenen habe, dann fehlen mir Szenen mit körperlichem Einsatz. In der Rolle eines Kommissars passiert das ganz schnell, weil Kommissare fast nur Fragen stellen und Täterprofile diskutieren. Und wenn es dann etwas zu spielen gibt wie den Epilepsieanfall oder im Film davor sogar einen Stunt, bei dem ich ins Wasser gesprungen bin, dann bin ich immer froh und dankbar.“
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