Kommentar: |
Realität und Heilserwartung in Federico Fellini, Agenzia matrimoniale, 1953
Es handelt sich um die vierte Filmarbeit Fellinis - Luci del varietà, co-regia di Alberto Lattuada (1950); Lo sceicco bianco (1952); I vitelloni (1953) - auf die 1954 “La strada” folgt.
Der Kurzspielfilm Fellini’s ist bezeichnend für die Ambitionen und das Misslingen der ganzen Episodensammlung. Nach den Vorstellungen des Initiators des Projekts, Cesare Zavattini, handelt es sich um eine Art Manifest des Neorealimus, der durch den entschiedenen und ausschliesslichen (?) Einsatz des Alltäglichen und Authentischen seine Überlegenheit über die in Hollywood und unter dem Faschismus so beliebte Inszenierung beweisen will.
Die Episoden von „L’amore in cita`“ sind aber weder authentisch noch alltäglich. Gedreht wird fast immer auch mit Schauspielern und nicht nur mit Laien. Die Ausnahme vom Alltag herrscht vor und zwar immer die, die den Voyeurismus des Kinopublikums anspricht. Die Filmaufnahmen sind streckenweise ausgeleuchtet. Die Aufnahmen mit „versteckter Kamera“ sind entweder entsprechend den damaligen technischen Möglichkeiten von geringer Qualität oder sie können unmöglich unbeobachtet von den gefilmten Personen entstanden sein.
Fellini hingegen präsentiert mit entwaffnender Offenheit ein „mockumentary“, einen Spielfilm, der sich als journalistisches Dokument ausgibt aber einer gekonnten Spielfilmregie folgt. Die schauspielerische Bravour einiger „Laiendarsteller“ ist beeindruckend, nur sind eben auch wichtige Rollen mit Berufsschauspielern besetzt. Rom, wie es damals gewesen sein muss, spielt eine herausragende, dokumentarische Rolle, nur wird es eben meisterhaft eingesetzt, als sei es ein Drehort. Und nicht zuletzt, die später Fellini so wichtigen Themen bestimmen auch diesen Film. Im Vorgrund stehent hier noch die Fantasie der Armut und der Mut, mit der die Unschuld dem Monster begegnet.
Erzählt wird das Unternehmen eines jungen Journalisten, der eine Reportage über Heiratsvermittlungen schreiben will. Er sucht dafür eine Hinterhofagentur auf, der er vormacht, er suche für einen epilepsiekranken Freund, eine Art Wolfsmensch oder Licantropo, eine Braut. Das „Monster“, mit dem er die Ernsthaftigkeit der Agentur auf die Probe stellen will, tritt nicht selbst auf.
Die in Anspruch genommene Agentur hat überhaupt kein Problem dem epilepsiekranken Wolfmenschen ein Mädchen zu vermitteln. Warum sich dieses auf das Monster einlassen will, ist einfach und überzeugend: aus Armut. Rosanna, das für das Monster ausgesuchte Opfer, schildert ihre Situation ohne Rückhalt: „Siamo in nove, due maschi e sette femmine. Sono una povera figlia di poveri.“ (Zuhause sind wir 9, zwei Söhne und 7 Töchter. Ich bin die arme Tochter eines armen Mannes.”) Um es ihrer Familie leichter zu machen, ist sie von Olevano, wo der Vater als Landarbeiter praktisch ohne Einkünfte lebt, nach Rom zu einer Schwägerin gezogen. Die hat aber gleich gesagt, dass Rosanna baldmöglichst auf eigenen Füssen stehen muss. Der Ausweg ist eine Heirat, zu welchen Bedingungen auch immer.
Weder der falsche Journalist, noch die Agentur noch die „vorurteilslose“ Braut geben dem Zuschauer eine Antwort darauf, warum der mythische Wolfsmensch als Monster herhalten muss. Dessen krankhafter Zustand wird als etwas erstaunlich Bekanntes eingeführt.
Dem Journalist fällt auf die Schnelle (Er ist gegenüber den Agenturbesitzern in Erklärungsnot, was ihn überhaupt herführt.) nichts Besseres ein als dieser heiratslustiger Wolfmensch. Er wählt das Absurdeste, damit ihm nur ja niemand vermittelt wird. Er fällt in der Tat aus allen Wolken, als ihm umgehend die Lösung seines Problems signalisiert wird.
Den Filmautoren könnte es ähnlich gegangen sein wie ihrer Figur, dem Journalisten. Sie gehen mit der Präsentation eines kaum realen, aber die Phantasie der Vielen bevölkernden Monster kein Risiko ein. Es muss ja auch nicht vorgeführt werden. Wie unmöglich es sein muss, einen Licantropo zu heiraten, scheint sich jeder leicht selbst ausmalen zu können.
Rosanna, die Unschuld, hingegen ist erst ahnungslos, dann ohne Alternative. „Non dobbiamo spaventare la piccola“ sagt die Agenturbesitzerin, nachdem Rosanna ins Auto des Journalisten zugestiegen ist, der sie über den Brautsucher aufklären soll. Sie hat sie nicht auf den Licantropo vorbereiten wollen.
Nachdem Rosanna dann aufgeklärt ist – É preso dalle crisi violente. Si rotola per terra, grida, urla, riconosce piu nessuno nemmeno sua madre – ist ihre entwaffnende Antwort nur: “Poverino”. (Ihn packen heftige Krämpfe. Er wälzt sich auf dem Boden. Er schreit und heult und erkennt niemand mehr, nicht einmal seine eigene Mutter.“ – „Der Ärmste!“) Der Journalist setzt nach und erklärt seinen Freund schlicht für „pazzo“ (verrückt) und schildert dem Mädchen ein opfervolles Leben, das sie an diesen gekettet führen wird. Ihre Antwort ist ebenso endgültig: „Sono sistemata per tutta la vita.“ (Ich habe dann für mein ganzes Leben ausgesorgt.)
Der extreme Schrecken an der Seite eines Epilepsiekranken wird also aufgewogen durch die Sicherheit zu überleben. Die elende Realität im Italien der Nachkriegszeit, die sich der Film zu zeigen bemüht, gebiert offensichtlich Hoffnungen auf mythische Rettung. Und das Bild eines realen Epilepsiekranken bleibt eingekapselt in dieser irrealen Welt als das Gegenbild von Unschuld und Normalität. Verschiedene Krankheitselemente malen das Bild aus: Die Mondnacht als Auslöser, die wiederholten gewaltätigen Anfälle mit Zuständen der totalen Kontrolle und Entfremdung, der Wahsinn, der zu einem isolierten Leben auf dem Land zwingt. Traditionale Medizin bringt keine Heilung. Wie im Märchen kann diese durch eine „Mädchenopfer“ herbeigeführt werden. Der Kreis schliesst sich eine „Heilige Krankheit“ lässt sich womöglich durch eine rituale Handlung vertreiben.
Fellini strukturiert sein Pseudodokument meisterhaft mit verbreiteten Bedürfnissen Mythen und illusorischen Heilsvorstellungen. Das Mädchen möchte durch Reichtum erlöst werden. Der Journalist gibt vor, dass sein Freund sich durch eine sich opfernde Braut Heilung von seinem Leiden erhofft. Das Monster bleibt eine Gestalt der Phantasie. Die Welt des Mädchens sendet sichtbare Signale aus. Das Rom des Films wirkt ärmlich bis verfallen. Der Journalist fährt mit dem Mädchen an den Stadtrand, der demgegenüber idyllisch wirkt weder Zeichen der chaotischen Stadterweiterung aufweist noch isoliertes Agrarland ist. Die beiden unterhalten sich am Strassenrand friedlich im Gras sitzend. Im Hintergrund ist ein noch im Bau befindliches Mehrfamilienhaus zu sehen: der Traum für jeden Besitzlosen. Wie der Alptraum des nicht existierenden „pazzo“ zerrinnt dieser Traum. Rosanna bleibt nichts. Sie wird vom Journalist auf einem verkehrsreichen Platz in Rom ausgesetzt, wo sie in der Menge verschwindet.
|