Kommentar: |
Der nach einem 1955 erschienen Roman von Richard Yates "Revolutionary Road" gedrehte Film fasst mit grosser Konzentration eine erstaunliche Reihe individueller, kollektiver und historischer Themen zusammen. Alles dreht sich um die Frage des "authentischen" und selbstbestimmten Lebens, das im Amerika der 50er Jahre herzustellen, ein Unding zu sein scheint.
Frank und sein Freund und Nachbar Shep Campell haben als junge Männer den Krieg in Europa miterlebt und sich - nicht zuletzt in Paris - als Herren ihres Schicksals empfunden. Frank hat in dieser Verfassung aber schon ohne beruflichen Ehrgeiz die Aufmerksamkeit der romantischen Schauspielstudentin April erregt. Nach der Heirat und der ersten Schwangerschaft erschöpft sich der jugendliche Elan auf das Akzeptiertwerden in einer wolhhabenden und gut situierten Vorstadtsiedlung und auf die ein wenig eitle Pflege eines illusionären Andersseins. Denn in Beruf und Familie - wie in der ganzen Gesellschaft Amerikas der 50er Jahre – sind Stillstand, Konformismus, Statuserhalt und "hoffnungslose Bedeutungslosigkeit" der vorherrschende existentielle Zustand. Der inneramerikanische MacCarthismus ist auf seinem Höhepunkt und die amerikanische Kriegführung in Vietnam bahnt sich an. Erst 10 Jahre später wird es dem jungen Amerika gelingen, sich aus der "Falle" des "roll-back" in einer zukunftslosen Nachkriegszeit zu befreien.
Auslöser der Existenz- und Ehekrise der Wheelers ist der gescheiterte Versuch Aprils, sich mit einer Laienschauspieltruppe wieder ins "Rampenlicht" zu begeben. Die Eheleute schleudern sich der zweitrangigen Vorstellung und Rolle plötzlich bewusst voller Frustration gegenseitig Vorwürfe von Talentlosgkeit, Unreife und Rückgratlosigkeits ins Gesicht.
Aprils Idee, nach Paris umzusiedeln, wo sie die Familie ernähren wird und ihr Mann ungebunden einer Beschäftigung mit höherer Bestimmung nachgehen kann, bringt das Paar für kurze Zeit wieder in eine erregte Aufbruchsstimmung. Frank stösst bei seinen Kollegen und Vorgesetzten auf erschrockenes Unverstädnis. April (und Frank) provozieren bei ihrem Nachbarn unterschiedliche Gefühle des Widerwillens und der Panik. Helen Givings, die im Nebenberuf Immobilien vermittelt und den Wheelers zu ihrem Heim verholfen hat, setzt hingegen auf den zur Schau getragenen Non-Konformismus ihrer Nachbarn, um ihren in der Psychiatrie dahinvegitierenden Sohn John versuchsweise wieder „unter Leute zu bringen“.
John Givings, der Mathematik studiert hat, wurde vor einiger Zeit gegenüber seiner Mutter gewalttätig. In der Klinik versuchte man den offensichtlich als schizophren eingestuften Patienten mit Elektroschocks zu "zähmen". Die Wohlanständigkeit erfordert die versteckte Gewalt gegen solche, die sich ihrem Diktat nicht beugen wollen bzw. denen dies nicht gelingt. Die geradezu emblematische Anstaltsverbringung und Elektroschockbehandlung fügt dem Bild der amerikanischen "Revolutionary Road" seine Kehrseite bzw, seine innere Wahrheit hinzu.
John zeigt sich begeistert von den Aufbruchsplänen der Wheelers, die ihm als erträglichere Variante seiner Flucht ins Verrücktsein erscheinen mag. Zur Freude von Helen Givings ist ihr unleidlicher Sohn in der Umgebung der Wheelers gelitten. Dass die erste Begegnung auch anders hätte verlaufen können, zeigt Aprils Sorge um die Kinder bei diesem Besuch. Sie hat sie kurz vor Ankunft der Givings schnell noch zu den Nachbarn gebracht.
In der Tat verläuft der zweite Besuch Johns ganz anders, wenn auch nicht weniger folgenreich. John trifft schon im Zustand der Erregung ein. Die Wheelers sind nun dabei, ihre Wunschträumer der viel stärkeren Wirklichkeit zu opfern. April hat eine seit kurzem bestehende Schwangerschaft entdeckt, Frank hat ein verlockendes Angebot eines seiner Vorgesetzten erhalten.
Enttäuscht, wütend und gewalttätig stürzt John sich zunächst auf Frank bis dieser ihn in Notwehr aber auch tief getroffen des Hauses verweist. Die Givings verlassen dies fluchtartig und John schleudert der versteinerten April entgegen, das nichts weder die Eltern noch die Wheelers ihm Angst einjagen können. Wahre Angst mache ihm das Kind in ihrem Leib. (Dieses, so lässt sich schliessen, wird bzw würde sich zwei Jahrzehnte später nunmehr zwei konträren "Amerikas" stellen müssen.)
Nicht zuletzt durch den wahrsagenden John aufgestört sind die Gegensätze zwischen den beiden Wheelers unüberwindlich geworden. Vordergründig geht es jetzt nur noch um den Schwangerschaftsabbruch, der Aprils Protest gegen die aufgezwungene Rolle als Ehefrau konkretisieren würde bzw. Franks Sicherheit, in den ausgefahrenen wenn auch vergoldeten Gleisen mit seinem Leben fortzufahren, zerstören muss. Dem Gewaltakt gegen sich selbst geht Aprils minutenlanges Sexabenteuer mit Shep Campell voraus, mit dem sie den verlogenen Gesellschaftsvertrag der ehelichen Treue sowohl vollzieht als auch aufhebt. Frank hatte ihr gegenüber zuvor ein flüchtiges Verhältnis mit einer Kollegin eingestanden. Damit beweist er sich sowohl als konventioneller Mann als auch als treulose Durchschschnittsfigur.
In Aprils und Sheps sexueller Beziehung ballt sich nocheinmal des unentwirrbare Gefühls- und Wunschknäul zusammen, das den Film von Anfang an auszeichnet. Shep liebt seit längerem April als Wunschbild, an das er seine Träume des Freiwerdens, geheftet hat. April nimmt mit ihrer plötzlich aufflammenden sexuellen Gier dem Trieb nach Freiheit allen Wert. Beide nehmen sich mit mit einem Augenblick der Pseudobefriedigung ihre Hoffnung auf ein Leben mit wahren Gefühlen und wahrer Leidenschaft. Ihr "unmoralisches" Verhaltenn und ihre Treulosigkeit ist aber gerade das Ventil, das eine in Moral und Sicherheitsdenken versteinerte Gesellschaft vorsieht.
Aprils ungeschickter, riskanter und verspäteter Schwangerschaftsabbruch ist nicht frei von womöglich uneingestandenen Selbstmordabsichten. Zunächsteinmal scheint sie sich "erleichtert" zu fühlen, wie sie da blutend ins helle Sonnenlicht jenseits der Wohnzimmerscheiben blickt. Sie entfernt sich aus der Geschichte mit einem Notruf, in dem sie zu erkennen gibt, dass sie Hilfe zu brauchen glaubt.
Frank verliert durch Aprils Geste so gut wie alles, was ihm noch im Leben geblieben ist. Die Kinder sind das einzige, was diesen Vater hält. Helen Givings taucht schliesslich wieder auf, wenn sie einem jungen Ehepaar das leestehende Haus der Wheeler schmackhaft zu machen sucht.
Der Filmausgang lässt die möglichen Wege zu den allseits erhofften und gefürchteten Veränderungen offen. Eine gesellschaftliche Liberalisierung, wie sie sich dann diesseits und jenseits des Atlantik vollzieht, liegt natürlich nicht vornehmlich im Horizont eines Autors der 50er Jahre. Sie gehört aber auch nicht zu den Visionen eines Films des begonnen 21. Jahrtausend. Aprils Feminismus erscheint als Frucht eines individualistischen Aufbäumens, das sich mit ungeeigneten Mitteln seines Ziels zu bemächtigen versucht.
Verglichen mit den heroischen Figuren weiblicher Emanzipation, von denen "Nora" nur eine wenn auch exemplarische ist, richtet sich Aprils Streben weniger auf die eigene als die männliche Verwirklichung. Völlig illusorisch glaubt sie Frank zu Höherem antreiben zu können. Für sich selbst sieht sie die Rolle der Zuarbeit und der Assistenz vor. Erst in Paris würden ihr die Augen aufgehen über ihren rückgratlosen Mann und ihre eigene Opferrolle. Sich selbst müsste sie als doppelt Ausgebeutete erst wieder von diesem Joch frei machen.
Zurecht zieht der Film alle Sympathien auf die willensstarke, erfindungsreiche und leidende Frauengestalt. Franks Leiden scheinen demgegenüber mit sexuellen Abenteuern und höherem Gehalt kompensierbar. Man kann sich dem Gedanken schwer entziehen, dass die femministische Emanzipation aus dieser miseren Position des Mannes ihren Ausgang nehmen wird.
April findet unter den Männern ihrer Umgebung keine Ebenbürtigen, wenn nicht John, den Verrückten. Frank tut im übrigen alles, um die beiden nicht einmal heimlichen Helden der Geschichte einander anzunähern. Er sucht April mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass auch sie psychiatrische Hilfe braucht. Diese nimmt in seinen Vorstellungen die eines höchst banalen freud'schen Amerikas an. Sie besteht in Elektroschock und Rückkehr in die Frustrationen der Kindheit. Was es bei solchen Therapien zu gewinnen geben könnte ausser einem erzwungenen Vergessen aller Vernunft und Gefühle, weiss Frank wohl auch nicht. Eine Rückkehr zur Wohlanständigkeit ist jedenfalls damit verbaut, wie der Film und der Roman unmissverständlich zu erkennen geben.
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