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Fernsehfilm aus der TV-Serie"Tatort", Beitrag aus Kiel. Am 2. Oktober 2011 auf Das Erste erstgesendet. 17. Fall des Kieler Ermittlers Klaus Borowski. Drehbuch: Sascha Arango
"In diesem Tatort steigt Sibel Kekilli als Sarah Brandt in die Krimireihe mit ein und wird künftig die neue Partnerin Borowskis sein. Sie ersetzt Frieda Jung, die von Maren Eggert gespielt wurde und in der Folge 761 (Tango für Borowski) ausstieg." (Wikipedia)
Tatort-Drehbuchschreiber Sascha Arango, der selbst Erfahrung mit Epilepsie hatte, verschafft Sibel Kekilli / Sarah Brandt einen fulminanten Einstieg und lässt damit völlig vergessen, dass sie Nachfolgerin von wem auch immer ist.
Diese Tatort-Folge wird sich als grossartiger plot-Steinbruch für die Serie entpuppen. Mit einem Streich werden der ältere, erfahrene, im Internet-Zeitalter etwas verlorene Kommissar Borowski mit einer ungestümen, jungen, hübschen Informatikerin verbunden. Borowski fällt schon hier die komische und zugleich zärtliche Rolle eines Beschützers und väterlich-hilflosen Partners zu. Der Film verschafft sich diesen fruchtbaren Erzählfaden, indem er Sarah Brandt eine so unorthodoxe wie ungewöhnlich ausgestaltete chronische Krankheit zuschreibt.
In "Borowski und der stille Gast" werden die Widersprüche offenbar werden. Sarah Brandt müsste "eigentlich" umgehend den Kommissariat-Drehort verlassen. Mit ihren wiederholten mal verdeckten, mal spektakulären epileptischen Anfällen dürfte sie weder Autofahren noch einen Waffenschein besitzen. Sie selbst überschreitet gern schlagfertig und unverfroren die Grenze zum noch Erlaubten. Ihre entschuldigende Bemerkung "Wir sind doch die Guten....." passt zum anderen Leitwort ihres Verhaltens "Ich habe das im Griff.........." Hat sie nicht, doch Borowski lässt sie Bedenken tragend gewähren. Die beiden Kommissare werden unter so vielen Gesetzesbrechern selbst zu Komplizen. Borowski hat auch gleich das Drehbuch/Regie-Konzept für diesen willkommenen und "unerhörten" Vorgang: "Nichts Menschliches ist ihr (Brandt) fremd.........."
Sarah Brandts erster Anfall - sozusagen ihr Einstand als eine etwas andere Kommissarin - verläuft höchst seltsam. Er besteht in einem Verschwimmen des Gesichtsfeldes und kurzfristigem Doppelsehen. Das ist korrekt gefilmt, doch in jeder Beziehung höchst unlogisch. Diesen Anfall erlebt streng logisch niicht Brandt sondern der Zuschauer. Er bekommt Brandt urplötzlich verschwommen und doppelt sehend zu Gesicht. Diesem als Aura oder Prodrom bezeichneten Anfallstyp folgt häufig der wesentlich bekanntere sogenannte "Grosse Anfall", der Brandt in "Borowski und der stille Gast" zustossen wird. Auren erlauben vielen Epilepsiekranken, die "grosse Anfälle" bekommen, sich vor Ausbruch des tonisch-klonischen Anfall (umgangssprachlich auch grand-mal-Anfall genannt) mit Sturz, Krämpfen und kurzzeitiger Bewusstlosigkeit zurückzuziehen und in Sicherheit zu bringen. Beim zweiten Anfall gelingt das Brandt dann auch. Sie geht zu Boden als sei ihr schlecht geworden (durch den Anblick einer Leiche). Der grosse Anfall bleibt sogar aus. Borowski ahnt darum noch nicht, wen er da ins Boot nimmt.
Den meisten Zuschauer dieser Episode werden die Vorgänge rund um Epilepsie vermutlich so verborgen bleiben wie dem Kommissar. Dafür wird ihnen die ziemlich unwahrscheinliche Episode des Kennenlernenens von Klaus und Sarah besser in Erinnerung bleinem. Auf YouTube existiert sie dann auch als Einzelclip.
Borowski hat sich zerstreut wie oft zum Essen in der Kantine niedergelassen. Kurzfristig verlässt er seinen Platz und lässt sein Tablett auf dem Tisch stehen. Als er zurückkehrt, findet er eine mit Lesen beschäftigte junge Frau vor, die von seinem Teller (wie er annimmt) speist. Als sei nichts geschehen bedienen sich nun die beiden künftigen Partner aus dem gleichen Teller. Das ist dem recht hilflosen stillen Protest von Klaus und der schnurzigen Kaltblütigkeit von Sarah zu verdanken. Erst als die junge Frau aufgestanden ist, entdeckt Borowski, dass er auf dem falschen Platz sitzt. Später bei der Kandidatenvorstellung muss er recht kleinmütig zu Brandt gewendet hinwerfen: Sie kenne ich schon ..............
Im Grunde erfüllt dieser erzählerische Kunstgriff die gleichen Zwecke wie Brandts Epilepsie - nur als Momentaufnahme einmal und als Erzählstrang darauf. Borowski sollte sich seiner Sache sicher sein, wo seine Partnerin das Mass des Tolerierbaren überschreitet. Das Gegenteil ist der Fall. Er findet sich pünktlich von ihr auf dem falschen Fuss erwischt. Das macht die Beziehung der beiden so explosiv wie unterhaltsam.
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